Basel
8 Schärtlingasse 8
31r Juli 1888
Hochgeehrter Herr Professor,
Ich danke und danke Ihnen von Herzen, daß Sie in dem Augenblicke, wo Sie sich mit Ihrer lieben Familie anschicken das schöne Jena gegen die noch schöneren Berge Tyrols zu vertauschen an mich gedacht haben. –
Mögen Sie nach der geistigen Arbeit, welche Ihnen die kleinen, wunderbaren Thiere gemacht haben, die Ruhe u. Erholung, deren Sie bedürfen, in der imposanten u. großartigen Gebirgswelt finden, welche Sie sich zu Ihrer vorübergehenden || Sommerresidenz auserkoren haben. – Glücklich derjenige Sterbliche, welcher im patriarchalischen Schoße seiner lieben Familie seine Wiedergeburt schon auf Erden feiern kann. – Aber auch die Bestrebungen des Einzelnen, welcher darnach trachtet Stellung in der Natur einzunehmen und sich jeden Augenblick ein selbstbewußter Mensch zu sein, sind nicht zu verachten! –
Das schöne rosige Pathchen, welches Ihre kunst||sinnige Hand zur Anschauung gebracht hat, – habe ich auf meinem Arbeitstische postirt und sobald ich es ansehe, ergehe ich mich in stillen beschaulichen Betrachtungen, welche mit dem lärmenden Trompetenschall womit Sie die Epibulia Ritteriana in die Welt geschleudert haben, im krassesten Gegensatz stehen. –
Von Bettlern und Neidern mit dem || aGrößenwahn auf der Stirn und dem dummen, albernen Socratischen Lächeln auf den Lippen verhöhnt und verlacht, – bleibe ich meinen Grundsätzen fest und treu und schicke mich in das Unvermeidliche, ohne das Licht der theuer erkauften Wahrheit aus den Händen zu lassen. –
Haben Sie die Gefälligkeit mir die gedruckten Mittheilungen der zweiten Festrede zuzuschicken, welche der Inhaber der Ritter-Professur in diesem Frühjahr in Jena abgehalten hat. –
Den ganzen August mit Arbeiten bbeschäftigt gehe ich im September nach Bologna, um dem XX Congresse der Italien. Alchimisten beizuwohnen und den Cimone-Berg cin den Appeninen dzu besteigen und kennen zu lernen. – Mit dem Wunsche, daß Sie und Ihre liebe Familie einen angenehmen Sommer verbringen mögen und einen besonders freundlichen Gruß an Ihre liebe Frau, – zeichne mit gewohnter Hochachtung
Ihr
Paul v. Ritter
NB. Die Entwicklungslehre ist eein fnoch zartes gPflänzchen, welches der sorgfältigsten Pflege u. Wartung bedarf und welches die Dunkelmänner gern vernichten möchten. Halten wir wenigstens Moralisch zusammen!h
a gestr.: mit dem b gestr.: sehr c eingef.: in; d eingef.: zu besteigen und; e gestr.: noch f eingef.: noch g eingef. und wieder gestr.: noch h Nachschrift kopfüber auf S. 4 nachgetragen