Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Basel, 15. November 1883

11 Zuricherstrasse

Basel

15r November 1883

Hochgeehrter Herr,

Ein Feind aller Vorreden muß ich dieses Mal dennoch mit alten Gewohnheiten brechen und somit bei Ihnen für die unfreiwillige Verzögerung der Beantwortung Ihres Geehrten vom 25n Aug 83 um Entschuldigung bitten. Aber ich will mich bestmöglichst kurz faßen und als ein Anhänger Epikurs Alles vermeiden was Schmerz oder Unlust bei Anderen hervorrufen könnte. – Da ich vor einigen Tagen das Bürgerrecht der Stadt Basel aerworben habe, – so zerfließen eo ipso alle Schwierigkeiten und Bedenken, welche mir oder vielmehr der Ausführung meines cosmopolitischen Planes den Menschen mit der Natur auszusöhnen, von Seiten beschränkter und engherziger Staatsinstitutionen gemacht werden könnten. – Da mit der Zeit die bewegende Kraft des Dampfes wahrscheinlich durch einen billigeren, sichereren, schnelleren und gewaltigeren Motor ersetzt werden wird, wodurch der Verkehr mit überseeischen Nationen| gefördert und die weiten Wasserdistanzen, welche uns augenblicklich von denselben trennen, mit der Leichtigkeit und Schnelligkeit eines schwimmenden Fisches überwunden werden dürften, – so wird für einen strebsamen Naturforscher zur Gewinnung einer einheitlichen Weltanschauung eine überseeische Reise nach den Quellengebieten wo aus dem Dunkel der Vergangenheit die ersten menschlichen Laute erschollen und im Miocen und Pliocen die ältesten Spuren des Menschengeschlechtes uns erhalten sind, eine conditio sine qua non seiner wissenschaftlichen Ausbildung und des großen Nutzens bsein, welchen derselbe nicht allein den Naturwissenschaften, sondern auch allen mit diesen verwandten Zweigen des menschlichen Wissens bringen könnte. – Da nun die Cultur des Geistes die Schranken des geistigen Horizontes in immer weitere Ferne zu rücken pflegt, das Wissen zum Können erhebt und des| Menschen Brust mit wahrer und innerer Glückseligkeit erfüllt, zu welchem sittlichen Leben Staaten und Regierungen den zur Maschine gewordenen Menschen ungern zurückrufen, – so ist es Sache und Pflicht eines unabhängigen und vorurtheilsfreien Mannes da fördernd einzugreifen, wo die Wissenschaft mit verschränkten Armen an einer versiegten Quelle steht und sich nach hoffnungsvolleren Stellen umsieht cvon wo der belebende Wasserstrahl aus reineren und uneigennützigeren Quellen fließt. Die Errichtung einer palaeontologischen Professur ist gewiß eine schöne und nicht zu unterschätzende Sache, aber ist nicht der Zweck, welchen ich durch Gründung eines Stipendiums zu verfolgen beabsichtige und welcher lediglich seine Aufgabe darin zu lösen hat den Menschen in die nächste Berührung mit der Natur zu bringen, die sogenannten Geheimnisse der Natur wie solche nur für beschränkte und ungebildete Maschinenmenschen existiren an der Hand erhärteter Wahrheiten zu erschließen,| seine wahre und ungeschminkte Stellung in der Natur zu kennzeichnen ihm ddie Fähigkeit sich anzupassen und in dem großen und ernsten Buche der Natur nicht mit kindischem Sinne zu lesen, sondern in demselben die Gesetze und Wahrheiten aufzusuchen, nach welchen das gesetzte und reiferen Mannesalter sich zu sehnen pflegt. –

Ich habe daher in meinen letztwilligen Dispositionen folgenden von mir schon aufgestellten und von Ihnen approbirten Passus des Programms eingeschrieben:

Je legùe à l’université de Jena la maison à D… dont les rentes triennales doivent être employées aux recherches scientiques de morphologie et d’embryologie des animaux d’orde inférieur sur les plages d’outremer conformément à un programme établi par M. le professeur Ernst Haeckel en réponde à ma lettre du 11 Aout 1883 et avec le concours de voix déliberative et élective de la part des professeurs de Zoologie des universités de Leipzig et de Heidelberg. Le legs doit porté mon nom et prénom et etre publié sur les journaux. – Ich werde Sie daher bitten ein kurzes Programm aufzusetzen wodurch das in Frage stehende Stipendium am Besten ausgenutzt werden könnte u. der beschämende Zopf, welcher noch von vielen edeutschen gelehrten Naturforschern getragen wird, zum Teufel geworfen werde. –

Ich erwarte einen Meinungsaustausch u zeichne mit freundlichen Grüßen

Hochachtungsvoll u. ergebenst

Paul v. Ritter

a eingef.: erworben habe; b eingef.: sein; c eingef.: von; d gestr. sich, eingef.: die Fähigkeit sich anzupassen; e eingef.: deutschen

Brief Metadaten

ID
9261
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
15.11.1883
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,0 x 27,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9261
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; Basel; 15.11.1883; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9261