Müller, Hermann

Hermann Müller an Ernst Haeckel, Lippstadt, 7. März 1879

Lippstadt 7/3 1879.

Hochverehrter Freund!

Ich beantworte Ihren freundlichen Brief vom 4 Februar erst heute, weil ich Ihnen zugleich mit der zurückerstatteten Rede Virchows meiner Rechtfertigungsschrift übersenden wollte, was aucha heute noch nichtb geschehen kann. Ihr Briefc hat mich durch die herzliche Theilnahme, die er mir beweist, innige Freude bereitet! Besten Dank!

Zu der von Emil Strauss angeregten Broschüre wäre ich vielleicht doch nicht gekommen, wenn nicht der Cultusminister selbst mich schließlich veranlasst hätte, meine Rechtfertigung selbst in die Hand zu nehmen. Ich wurde nemlich [!] – noch vor der dritten Lesung des Unterrichts-Etats Im preußischen Abgeordnetenhause urplötzlich von einem „Consistorialrath Freiherrn von Diepenbroick Grüter“, juristischem Mitglied des Provinzial Schul-Collegiums in Münster überfallen, der || im Auftrage Falks hierher kam, um mich und meinen Direktor verantwortlich [zu] vernehmen über einige Punkte, in Bezug auf welche meine früheren Erklärungen mit den Aussagen meiner Angreifer in der Kammer in Widerspruch stünden. Meine Vernehmung allein dauerte über 3 Stunden und zum Schlusse erklärte mir der Herr Consistorialrath, der in der That mehr wie ein alter gutmüthiger Dorfpastor als wie ein Jurist aussah, unter 4 Augen, bisher habe er als Beamter zu mir gesprochen, nun wolle er noch als Freund zu mir reden und beschwor mich unter Thränenrieseln und Augenverdrehen, im Glauben das alleinige Heil zu suchen. Ich hörte ihn so ernsthaft, als mir eben möglich war, an und dankte ihm unaufhörlich für seinen wohlmeinenden Rath. Ich hätte aber lebhaft gewünscht, daß ein Photograph diese reizende Gruppe hätte verewigen können.

Da ich nun mit vollster Klarheit alle Widersprüche beseitigt und mich vollständig || gerechtfertigt hatte, so erwartete ich von Falk, dass er bei der dritten Lesung zur vollen Rechtfertigung seines Verleumdeten Beamten das Wort ergreifen würde und wartete in dieser Voraussetzung den Schluß der Sitzungsperiode ab. Da Falk nun sich todtgeschwiegend, so blieb mir allerdings nichts weiter übrig, als selbst meine Rechtfertigung in die Hand zu nehmen.

Der Wiederabdruck des langweiligen Lehrplanes, welcher ja noch aus meiner alten systematischen und linnéischen Lebensperiode herrührt, war nothwendig, um die Durchnahme der Entwickelungslehre als im Grunde schon vom Ministerium Mühler gebilligt nachzuweisen und die Anmerkungen zu rechtfertigen, welche von meinen Gegnern sonst gewiß noch als Waffe gegen mich benutzt worden wären. Wollen Sie also mein Machwerk mit Nachsicht beurtheilen.

Wie es nach oben hin wirken und vielleicht auf mich zurückwirken wird, muß ich abwarten.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr aufrichtig ergebener

HMüller

a gestr.: erst; eingef.: auch; b eingef.: noch nicht; c eingef.: Brief; d korr. aus: todtgeschrieben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.03.1879
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9215
ID
9215