Ralf Adé an Ernst Haeckel, Leipzig, 8. März 1904

Leipzig 8. III 1904.

Hochverehrter Herr Professor!

Bitte um Verzeihung, wenn ich hiermit den Versuch wage Sie für mein Manuskript zu interessieren.

Als Künstler vermag ich nur Wege aufzuweisen und zu zeigen, daß die Menschheit etwas einheitliches, eine Gesammtmasse ist und daß diese das Matterial, aus dem ein Gebilde sich erhebt. Ich habe dies Gebild „Menschheitsall“ genannt. Ich zeige dann auf wie bislang die || Versuche einer Erhebung dieses Gebildes sich stetig zerschlugen, wie es durch all die Jahrtausende vergeblich sich bemühte, da die Außenwelt, welche damit zum Schicksal für das Menchheitsall wird, und gegen welches diese Schöpfung machtlos ist, gegen eine Erhebung war.

Dies wurde jedoch völlig anders seit Constantin, mit dem ein für das Werden dieser Schöpfung günstiges Schicksal kam, sodaß jetzt alle Vorbedingungen zu einer glücklichen Erhebung dieses mächtigen Gebildes gegeben waren.

So sind die Ideen in meinem Manuskript geeignet, in das neue Gestalten, das uns unmittelbar bevorsteht und wohin alles Werden drängt, einzuführen. Es wird zum || Verkünder des neuen, das heraufkommen muß, und mahnet Bekenner und Träger dieses Reichs der Schöpfung zu werden, dieses Menschheitsalls, das sich durchsetzen will, und abzusagen jenen, die da behaupten, Träger des Reichs Gottes zu sein, während für Gott längst die Möglichkeit seines Durchgreifens dahinschwand!

Aber der Inhalt des Manuskriptes weißt auch auf Grundlage des geschichtlichen Materials auf, daß die Menschen selbst, diese Gewordenen, nichts sind, als der Spielball dieser großen Gewalten, Schöpfung oder Gott, daß diese es sind, die von ihnen Besitz ergreifen, je nachdem das Menschheitsmaterial für die Erhebung der einen oder der anderen Macht passend ist. So können die Menschen nie sich selbst führen, sondern werden geführt, || können fast gar nichts zu einer Änderung ihres Schicksals tun, sondern folgen ihnen selbst unbewußt dumpf demselben, und besitzen ihren größten Feind in der Ueberhebung und Anmaßung ihres eigenen Geistes. –

Ich habe die feste Ueberzeugung, daß der Inhalt dieser Schrift, Sie, hochgeehrter Herr Professor, interessieren wird, und es würde mir eine Ehre sein Ihnen auf Ihren Wunsch eine kurze Zeit mein 166 Seiten starkes Manuskript zur Einsicht zusenden zu dürfen.

Hochachtungsvollst

ganz ergebenst

Ralf Adé

Leipzig, Hospitalstraße 2. II.

Brief Metadaten

ID
9057
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
08.03.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9057
Zitiervorlage
Adé, Ralf an Haeckel, Ernst; Leipzig; 08.03.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9057