Karl Wiebel an Ernst Haeckel, Hamburg, 31. August 1860

Geehrtester Herr Doctor!

Schon ehe ich Ihre Zeilen vom 21tn dieses Monats empfing, hatte Herr Professor Peters, bei einem Besuche, den er mir machte, meine Aufmerksamkeit auf Sie gelenkt. Ich würde deshalb geeilt haben, Ihnen umgehend zu antworten, wenn ich nicht geglaubt hätte durch einige Tage Abwartens die Möglichkeit bestimmterer Mittheilungen erlangen zu können. Diese Hoffnung ist nicht in Erfüllung gegangen u. darum darf ich nun jenea nicht länger verzögern. Die Sachlage ist folgende: Unser akademisches Gymnasium ist eine Anstalt, welche wie das Carolinum in Braunschweig, zwischen der Schule und Universität steht u. akademische Lehrfreiheit und Einrichtung hat. ||

An derselben begleitete seit 1818 mein ehemaliger College Lehmann den Lehrstuhl der Naturgeschichte, hat aber während seines 42jährigen Amtes nur die Botanik cultiviert, da er von Zoologie sehr wenig von der gesamten Mineralogie gar nichts verstand. Bald nach seinem Tode trat eine Anzahl hiesiger und auswärtiger Bewerber um die Stelle auf, welche dieselbe theils als eine rein botanische betrachtet theils sich erboten hatten die ganze Naturgeschichte in Bausch und Bogen zu übernehmen. Nach der Stellung unserer Anstalt u. der damit verbundenen reichen Institute des botanischen Gartens und zoologischen Museums, sind angesichts des heutigen Umfanges der Naturwissenschaften [ist] ein längeres Vereintbleiben dieser Fächer nicht mehr möglich u. ich habe darum bei der Behörde auf eine Trennung derselben hingearbeitet. In Anerkennung meiner Gründe hat dieselbe in erster Instanz zwar die Trennung der Professur in zwei besondere Lehrstühle nämlich: für Botanik in || Verbindung mit der Direction des Gartens und für Zoologie mit vergleichender Anatomie beschlossen; allein noch fehlt die Zustimmung des Senates u. die Geldbewilligung durch die Bürgerschaft zum völligen Abschluß der Sache. Die Zahl der Bewerber mehrt sich zwar täglich aber damit möchte ich Sie nicht abgeschreckt haben sich denselben anzuschliessen, zumal die Versicherungen des Herrn Professor Peters uns in Ihnen einen, in jeder Hinsicht schätzenswerthen Collegen verheissen.

Der verstorbene D. Lachmann in Bonn war unserem Protoscholarchen Director Hudtwalker durch Professor Blasius in Braunschweig besonders empfohlen und namentlich unterstützt durch einen Herrn Regierungsrath? Passow in Berlin, welcher zu Hudtwalker in freundschaftlicher Beziehung steht. Die Aussichten für ihn waren nicht allein durch seine wissenschaftliche, sondern auch durch die nachgerühmte Befähigung zum Lehrfache hoffnungsvoll. Da hier in den öffentlichen Vorlesungen || für das gebildete Publikum, welche nach den Gesetzen einstündig halten soll eine glückliche Gabe der Mittheilung sehr in die Wage gelegt wird.

Wie lange sich nun die Entscheidung noch hinziehen wird, vermag ich Ihnen bis jetzt noch nicht zu bestimmen, jedenfalls scheint es mir in Ihrem Interesse zu liegen, wenn Sie Ihre offizielle Meldung sobald als möglich an Senator Hudtwalker richten und curriculum vitae mit Exemplaren Ihrer Arbeiten und etwaigen Zeugnissen belegen soweit Ihnen solche zur Verfügung stehen. Sehr rathsam scheint mir eine besondere Betonung Ihres Verhältnisses zu Johannes Müller und können Sie die Unterstützung des Herrn Passow erlangen, so würde das Ihre Aussichten wesentlich günstiger stellen. Gestattet Ihre Zeit einen Abstecher hierher zu machen um die Verhältnisse an Ort und Stelle näher kennen zu lernen, so werde ich mit Vergnügen bereit sein Sie in dieselben einzuführen.

Hochachtungsvoll

Prof. Wiebel

Hamburg d. 31 August

1860

N.S. So eben vernehme ich, daß meine Collegen Petersen und Aegidi Sie auf den Wahlaufsatz u. zwar in erster Stelle gebracht haben; sie konnten dieses natürlich nur unter der Voraussetzung, daß Sie die Botanik und Direction des Gartens mit zu übernehmen gesonnen seien. Bis jetzt habe ich keinen officiellen Gebrauch von Ihrer Erklärung in Ihrem letzten Briefe gemacht, da nach dem Kraus’schen Antrag Sie durch die Ablehnung der Botanik zugleich von jeder Bewerbung ausgeschlossen gewesen wären. Ich muß Ihnen jedoch ganz offen bekennen, daß Sie nur Möbius zur Verzierung hingestellt wurden u. keinerlei Aussicht auf Erfolg haben und es bleibt Ihrer || Erwägung überlassen ob Sie unter solchen Umständen auf der Wahlliste figuieren oder lieber zuvor durch Ablehnung der Botanik sich selbst ausscheiden wollen. In letzterem Falle würden Sie aber Ihre Erklärung sofort zu übermitteln haben und könnten sicher sein der Deputation in ihrem ungerechten Verfahren die größte Verlegenheit zu bereiten, da Möbius dann ganz allein stehen würde. Lassen Sie mich also bald hören wie Sie denken.

Der Obige.

a gestr.: dieselbe; oben überschrieben: jene

Brief Metadaten

ID
9030
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
31.08.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 22,5 cm; 11,1 x 14,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9030
Zitiervorlage
Wiebel, Karl an Haeckel, Ernst; Hamburg; 31.08.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9030