Godesberg, 12/II 95
Allerverehrtester Herr!
Ob ich mir erlauben darf, Ihre kostbare Zeit wieder einmal auf eine Viertelstunde – eventuell auf ein paar Wochen – für mich (?) in Anspruch zu nehmen?
Ich lese soeben das Buch von Ferri-Kurella, Sozialismus u. Darwinismus. Wenn Sie es kennen – andernfalls schicke ich es Ihnen – werden Sie gefunden haben, daß selbiges zu einem großen Teil in einer versuchten Widerlegung Ihrer früheren Schriften besteht. Es ist ja richtig, daß die soziale Frage in dem letzten Dezennium zu einer brennenden geworden ist, demzufolge vielfach studiert wurde u. eine Entwicklungsfähigkeit zeigt, die jeden, auf welchem Standpunkt er auch stehen mag, dazu zwingt, Stellung zu ihr zu nehmen. Ich persönlich gehe noch weiter u. glaube ja hoffe, daß sich aus dem Verfolg dieser sozialen Frage wieder einmal Ideale werden formulieren lassen, die unserem seit Erfüllung seiner politischen u. historischen Aufgabe ideallos || gewordenen Volk sich alsa neue erstrebenswerte Ziele aufstellen lassen. Wie dem auch sein möge, ich meine, die berufenen Vertreter u. Führer der modernen Naturwissenschaft, als deren Obersten ich Sie, hochverehrter Herr Professor, ansehe, sollten doch wieder einmal Stellung zu jener Prinzipalfrage unserer Zeit nehmen, zumal in der begonnenen Diskussion die Mißverständnisse u. schiefen Urteile überhand nehmen (confer Ferri contra Haeckel) u. die Resultate Ihres bisherigen Wirkens resp. der von Ihnen hauptsächlich vertretenen Wissenschaft leicht in Mißkredit bringen dürften. Sachlich bringt das ja vielleicht keine Gefahr, denn die Wahrheit an sich kann ja nicht verfälscht, wohl aber verdunkelt werden.
Ich wage also zum Schluß den ergebenen Antrag zu stellen, Ihre früheren Urteile über die soziale Frage vom naturwissenschaftlichen Standpunkt noch einmal zu revidieren, zu verifizieren, zu rektifizieren, zu kompletieren u. schließlich zu edieren Ihr
Ihnen in vollkommener Verehrung
ergebenster
Karl Alberts
a gestr.: für, eingef.: sich als