Karl Alberts an Ernst Haeckel, Oberwesel, 24. Dezember 1880

VILLA KOSMOS, OBERWESEL A./RH., DEN 24.12.1880

Hochverehrtester Herr!

Aus Freundesbriefen erfuhr ich, daß Herr Dr. Krause seinen in der letzten Zeit willkürlich angebändelten Kosmos-Conflikt auch in weitere Kreise trägt. Ich verschmähe es, ihm dorthin zu folgen, und möchte nur Ihnen, hochverehrtester Herr, an dessen Meinung mir einzig u. vor allem gelegen ist, den merkwürdig kurzen Hergang rekapituliren u. Sie werden daraus ersehen, daß Herr Dr. Krause wohl eines der tüchtigsten Werkzeuge der Partei ist u. bleibt, in der Berliner Luft aber an eine Art Kampf ums Dasein erzogen ist, die nicht gerade – gentlemanlike genannt werden kann. – Die Genesis des Conflikts ist bald erzählt: Ich lebte diese vier Kosmosjahre in steter, ungetrübter Freundschaftsharomie mit meinem Herrn Redaktor. Wir wechselten die herzlichsten Briefe bis gegen Ende November des Jahres, wo mir auch Hr. Dr. Krause einen Verlags-Antrag machte, den ich aber unter ebenso freundschaftlichem Bedauern aus gewichtigen Motiven ablehnen mußte. ||

Niemals habe ich a eine Idee oder einen Schritt in Sachen Kosmos ohne sein Vorwissen u. seine Billigung erfaßt resp. durchgeführt; deswegen mußte mir sein wie ein Blitz aus heiterem Himmel fallender Brief das maßloseste Erstaunen bereiten! Dieser seinem freundschaftlichen Brief von Ende November zunächst folgender Brief lautet im Wesentlichen wie folgt:

Lieber Hr. Alberts! … … Der warme Ton Ihres letzten Schreibens läßt mich erkennen, daß Sie das Unrecht zu erkennen beginnen, welches Sie mir durch Ihre seit langen Zeiten hinter meinem Rücken geführten Verhandlungen mit Koch u. Hellwald zugefügt haben (!!!), (Ich hatte Herrn Dr. Krause, wie aus meiner nachfolgend im Auszug beigefügten Antwort erhellt, von Anbeginn an stets sofort von jedem Schritt u. jeder Correspondenz in Kenntnis gesetzt)c, … Nicht weniger hat es mich überrascht, daß Sie bei dem Verkauf des Kosmos gar nicht daran gedacht zu haben scheinen, daß ich ein Wort daher mitzureden hätte (was bis dato auch niemals eine Misbilligung oder auch nur das leiseste Bedenken seinerseits zur Folge hatte!)d … Ich schrieb Ihnen ja, daß ich mich nicht [(ohne Weiteres] mit verkaufen lasse (das Eingeschaltete ist ein den Sinn etwas änderndes Novum seines oft gebrauchten Avis an mich. Alberts) deshalb genügt es mir zur doppelten Genugthuung, Ihnen sagen zu können, wie ganz verschieden ich in ähnlicher Angelegenheit gehandelt habe. Vor etwa zwei Jahren machte mir ein Buchhändler den Vorschlag meine (sic!) Zeitschrift künftig in seinen Verlag übergehen zu lassen, da er mir einen höheren Gewinn-Anteil zuführen könne. … Hätte ich damals ahnen können daß Sie über Jahr und Tag so handeln würden, würde ich vielleicht den Mann nicht abgewiesen haben! Jedenfalls werden Sie sich nicht wundern … wenn ich den Kosmos in seiner bisherigen Gestalt in einem andren Verlage fortführe … Ich schreibe Ihnen dies aus alter Anhänglichkeit u. für den Fall, daß Ihre Verhandlungen mit Koch noch zu keinem Abschluß gediehen sein sollten. Denn der neue Verleger ist ein reicher Mann der den Kosmos besser zu „poussiren“ versteht als Siee … u. es wird besser sein, wenn Sie || Hrn. Koch von dieser neuen Wendung der Dinge in Kenntnis setzen, damit er nachher nicht behauptet, von Ihnen betrogen zu sein (sic!) etc etc … …

Mit hrzl. Grüßen …

Darauf antwortete ich im Wesentlichen folgendes:

… … „Ich muß vorausschicken, daß ich schon manche Überraschung in meinem Leben hatte, gute u. böse, unter den letzteren trägt aber, mit nicht geringem Weh muß ich es sagen, Ihr letztes Schreiben die Palme davon! Sie müssen dasselbe entschieden in einem bösen Traume geschrieben haben, der unter anderm Ihr Gedächtnis verwischt hat. Sie scheinen ganz vergessen zu haben, wie Sie eigentlich von Anfang unsrer Verbindung an bis in die letzten Tage hinein Ihre Verwunderung aussprachen über den Mut, der mich bei meinem Herzens- u. Schmerzenskinder ausharren ließ; wie Sie noch vor kurzem rieten, von Strauss oder Koch irgendeine Summe herauszuschlagen u. dann Arm in Arm mit Ihnen dem undankbaren Publikum den Rücken zu kehren, wie Sie „mit einem heitren u. einem nassen Auge“ den schlechten materiellen Stand des Kosmos beklagten u. mir rieten, lieber gleich loszuschlagen, als bis zum Ende des Bandes zu warten, wie Sie bei hundert und aber hundert Fällen gestimmt waren, die Büchse ins Korn zu werfen u. wie nur mein Opfermut die Sache bisher gehalten hat. Sie vergessen ferner, wie ich nicht nur in jedem Plan, nicht nur jeden Schritt, sondern jeden Gedanken, der mir im Interesse des Kosmos einfiel, Ihnen vorlegte, mit keiner Freude u. keinem Schmerz hinter dem Berge hielt. Am wenigsten mit den Mitteilungen über die sich vorbereitende neue Gestaltung der Dinge, in ihren seitherigen drei Epochen: 1) die traurige Unterbilanz der Ostermesse mit festerem Ins-Auge-fassen der Aufgabe des Kosmos; 2) Besuch von Hellwald mit dem ersten vagen Gedankenaustausch darüber; 3) Besuch von Koch, der sich zur Übernahme des Kosmos im Prinzip bereit erklärte. Ich füge hinzu, daß ich seit diesem Besuch von Koch (vor ca 2 Monaten f, in dem über keinerlei Details verhandelt wurde) keine Zeile, weder von Hellwald noch von Koch empfing. Ich schrieb dieses Schweigen dem Umstand zu, daß beide Herrn vor der definitiven Schlußfassung abwarten wollen, wie sich das Schicksal des Ausland stellt (nach dessen beabsichtigtem Eingehen der Kosmos als Wochenschrift in seine Stelle geschoben werden sollte!)g. Es ist sonach noch heute Ihrem „reichen Verleger“ (der mir nebenbei ein rechter Schubjack zu sein scheint, sintemalen er selbst im Stand war, die Begriffe Mein u. Dein in Ihnen zu verwirren) unbenommen, mit einem billigen Gebote an mich heranzutreten u. das Opferlamm mit Ihnen weiter zu führen! Ich möchte ihn aber bitten, sich etwas zu beeilen! (Seit heute ist der Kosmos, der in seiner alten Gestalt verbleiben soll, an Koch übergegangen!)h … … Ich habe mich, abgesehen vom letzten Semester, niemals bei Ihnen über die schlechten Erfolge beklagt, weil ich einfach den moralischen Erfolg über || den materiellen stellte. So sehr ich den ersteren mit voller Bereitwilligkeit Ihrem hingebenden Interesse für mein Unternehmen verdanke, so genau weiß ich, daß ein weniger spezielli wissenschaftlich befähigter Leiter, als Sie, eine bessere Garantie für den materiellen Erfolg gegeben hätte. Täuschen wir uns doch darüber nicht! Der Kosmos ist nicht die allgemein verständliche Zeitschrift der monistischen Anschauung geworden, wie ich sie geplant u. in den ersten Monaten noch wiederholt befürwortet habe. Es wurde, dank Ihrer seltenen encyclopädischen Bildung, ein wissenschaftliches „Archiv“ für alle engsten Forschungen auf dem Gebiet des Darwinismus. Ein solches Archiv hat hier von vornherein ein bestimmtes Publikum: Die Bibliotheken u. einige wenige wohlsituirten Gelehrten-Kreise. Apart wird sich Niemand auf eine Zeitschrift abonniren, von der er im besten Falle nur die Hälfte versteht. Und in diesem Falle befindet sich nicht nur das sog. gebildete Publikum, sondern selbst die Gelehrtesten unsrer Zeitung gegenüber! Die vielen hundert abgesprungenen u. stets noch abspringenden Abonnenten legen dafür das sprechendste Zeugnis ab. Und Ihr „reicher Verleger“ sollte wirklich Lust haben, unter solchen Voraussetzungen den Kosmos zu halten? Dann müßte er ein Liebhaber-Verständnisvoller sein, wie ich es bin; die sind aber im Buchhandel, wenn überhaupt, dünn gesäht; hat aber wirklich einer den Opfermut, warum benutzt er nicht in erster Linie seine Mittel dazu, den Kosmos auf ehrlichem Wege zu erwerben? …Wir haben beide dem Kosmos viel zu danken; wir haben beide in Anerkennung dessen lange Zeit die Selbstverleugnung gehabt, von einem materiellen Gewinn abzusehen … … Darum dachte ich, daß Sie die Dankbarkeit, die ich Ihnen für die geistige Entwicklung meines Schmerzenskindes zolle, vielleicht dadurch anerkannten, daß Sie meine Ignorirung der materiellen Seite zu schätzen wüßten! Ihr Brief reißt mich schmerzlich aus dieser Illusion u. läßt mich mit meinem zarten Freundschaftsgefühl in einem ziemlich humoristischen Licht erscheinen … … Weitere Opfer können wir nicht bringen. Den Kosmos ganz fallen zu lassen, hat gar keinen Zweck; er könnte von Jedem wieder aufgenommen werden. Ich konnte es nicht über mich gewinnen, einen Andren an Ihrer Stelle an meine Seite zu ziehen … … … …

Das ist was ich auf dem Herzen habe. Es ist nicht das was Sie nach dem merkwürdigen Ton u. Inhalt Ihres traumhaften Briefes erwarten dürften; es genügt aber, neben dem Ihrigen, uns darüber ins Klare zu setzen, was wir an einander – verloren haben! ||

Nach dieser Correspondenz haben wir keine Briefe mehr gewechselt. Eine erneute Anknüpfung ist untunlich. Ich erfahre nur, daß Hr. Dr. Krause jetzt als Grund des wenig lukrativen Betriebes der Zeitschrift angibt, daß ich Arbeiten wie Caspari’s und Jäger’s pp befürwortet habe! Das heißt geradezu die Wahrheit auf den Kopf gestellt. Denn ich war es, der mich stets erbot, die ihm (Dr. Krause)j direkt gesandten Arbeiten Caspari’s an ihre Quelle zurückzulotsen, was Dr. Krause, der leicht erklärlicherweise sich mit Niemanden in der Partei überwerfen will, stets mit beiden Händen annahm und es an ähnlichen Aufträgen zu Exekutionen u. Kastaniensuchungen niemals fehlen ließ.

Meine Bereitwilligkeit, ihm darin zu dienen, nennt er jetzt „Einmengungen“! Jäger schreibt seit Jahr u. Tag nicht mehr für den Kosmos. Ich strich seinen Namen von der Liste, weil er uns in seiner Entdeckung der Seele den Stuhl vor die Thür gesetzt. Dr. Krause schimpft weidlich über ihn bei mir u. Hellwald und macht ihn anderseits wieder anläßlich des (falschen) Gerüchts seiner Verunglückung in scheußlicher Weise die Cour, wie er sie Hellwald macht, den er bei mir, u. wieder s. Z. mir machte, den er bei Hellwald verunglimpfte. ||

Heute morgen erhielt ich von Koch (Schweizerbart’s Verlag) die Nachricht, daß er den Kosmos, den er in alter Weise neben seinem darwinistischen Verlage als Monatsschrift fortzusetzen beabsichtige, übernehmen wolle. Ich bereue die Tausende nicht, die ich an dem würdigen Organ der Partei zugesetzt habe. Von einem Ersatz derselben kann selbstverständlich bei jener Übernahme nicht die Rede sein. Der neue Verleger gab u. gibt mir nur, vor jedem andren im Buchhandel, die Garantie, daß der Kosmos die Stelle behaupten wird, die er seither besessen. Ich kann wenigstens so viel erwarten, u. bitte darum, daß die Herren Mitarbeiter, denen ja bisher keine sonderlichen Opfer zugemutet wurden, unter denselben Bedingungen und Voraussetzungen bei dem Verleger von Darwin’s Werken stehen werden, wie sie bei mir gestanden haben. Ich habe Herrn Koch heute sogar dringend gebeten, Herr Dr. Krause, obwohl derselbe früher unter keinen Umständen weiter mitzugehen erklärte, zu gewinnen zu trachten. Wenn Herr Dr. Krause wirklich, ohne sein materielles Interesse ganz aufzugeben zu brauchen, die ideellek Hingebung an die Sache hatl (wie er sie in seinen Briefen an die Parteimitglieder || im Gegensatz zu mir zu verfechten behauptet), und wie ich sie, über meine Mittel, vier Jahre lang bethätigt habe, kann er es nicht besser beweisen, als dadurch, daß er auch unter dem Verlag von Darwins Werken die Fahne des Kosmos beihält.

Die Idee einer „Wochenschrift“, zu der mir fast alle befreundeten Mitarbeiter seit lange rieten, und selbstm Dr. Krause, n nur daß er alsdann zurücktreten wolle! – ist von Koch sehr anfänglich fallen gelassen u. damit auch der „populären“ Redaktion Hellwald.

Verzeihen Sie, hochverehrtester Herr, daß ich Sie so lange behelligt. Ich meine aber, daß das Schicksal des Kosmos, dessen neueste Wandlungen Sie im Vorigen vollständig kennen lernen, Ihnen nicht uninteressant sein könnte, und nebenbei gestehe ich, den Ehrgeiz zu haben, dem Leiter einer wissenschaftlichen Bewegung, der ich mit so voller Überzeugung diene, wie irgend ein andres Mitglied, nicht in einem falschen, unverdienten Lichte erscheinen zu wollen.

Ich verharre in der vollkommensten Verehrung

Ihr

ganz ergebener

Karl Alberts

a gestr.: ihn; b eingef. und gestr.: u. dem vorigen auf dem Fuße folgender; c eingef.: (!!!), (Ich … gesetzt): d eingef.: (was … hatte!); e eingef.: der den … als Sie; f gestr.: ); g eingef.: (nach … sollte!); h eingef.: (Seit … übergegangen!): i eingef.: speziell, j eingef.: (Dr. Kr); k gestr.: sachliche, eingef.: ideelle; l eingef.: hat; m eingef.: selbst; n gestr.: nicht

Brief Metadaten

ID
8947
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
24.12.1880
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
14,2 x 22,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8947
Zitiervorlage
Alberts, Karl an Haeckel, Ernst; Oberwesel; 24.12.1880; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8947