Aigner, Eduard

Eduard Aigner an Ernst Haeckel, München, 11. Juli 1906

Deutscher Monistenbund

Ortsgruppe München.

München, den 11 Juli 06

Hochverehrter Herr Professor!

Als Dr. Schmidt Sonntag Abend mit dem großen Papierumschlag dem D-Zuge entstieg schlug mein photographisches Gewissen oder besser Herz einige Tonarten höher. Als er vollends die schönen Bilder auspackte und sie mir als Ihr Geschenk übermittelte, da steigerte sich mein monistischer Pulsschlag und in dem Gefühle, die große Aufmerksamkeit nicht verdient zu haben, nahm ich einen neuen Anlauf mir sie zu verdienen.

Für heute kann ich nur danken || und versprechen, daß das Bild in der Mahagonirahme in meinem Sprechzimmer ein Weckruf sein soll wenn die Tatkraft des „Praesidenten“ – wie Sie so beißend beim Abschied dem so rasch avancirten Bajuwaren zuriefen – ins Wanken geraten sollte. Möge dieses Versprechen, über dessen Bedeutung ich mir selbst sehr bewußt bin, Ihnen die große Freude über die unerwartete Bevorzugung, die ich beim Empfang der Bilder empfand, beweisen.

Der dritte Tag ist’s heute, daß Dr. Schmidt bei mir ist und haben wir an gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Vorzeigungen schon Einiges geleistet. Die gestrige Karte vom Schützenfeste sollte Ihnen die Grüße meiner Eltern und der ganzen Familie Aigner mit den unsrigen übermitteln.

Daß Dr. Schmidt’s Arbeitskraft zur Zeit durch eine unglückliche hoffentlich nur vorübergehende Teilung seiner Interessensphäre und eine sehr starke Ablenkung auf ein anderes Gebiet, das eine depressio animi zur Folge hat, gelähmt ist, steht für mich leider fest und würde ich gerne das Meinige dazu thun, diese Trübung zu beseitigen. Vielleicht gibt sich noch Gelegenheit. – –

Meine Präsidentenkrone hat bereits ihre Strahlen – ich meine die den Strahlen verwandten – auf meine Gehirnrinde wirken lassen und habe ich einen sehr || energischen Anlauf genommen.

Nächste Zeit muß die Entscheidung über die Simultanschulen in München von der Regierung Oberbayerns gefällt werden. Sechs Schulen sind verlangt drei werden wahrscheinlich nur bewilligt. Die Schwarzen u. die Liberalen überbieten sich an Agitation.

Am Tage der Ablehnung sollen 10 bayrische Zeitungen den Appell an die Freunde der geistigen Freiheit zum Beitritt zum Monistenbunde bringen. Habe den Auftrag auf mein Risiko gegeben und schweige mich heute über den Kassenpunkt aus, dessen Deckung ich mit Hilfe einiger Monistischer Geldmänner nach der Tat leichter zu erreichen hoffe als zuvor. Es muß diese herrliche Gelegenheit mit allen || Kräften und allen Opfern ausgenutzt werden.

158 zeigt die Zahl unserer Mitgliederliste. Abrechnung und Eintragung in die Jenenser Liste läßt sich jetzt sehr schön erledigen.

Breitenbachs Vertrag habe ich ihm übersandt, nachdem ich den Entwurf durch einen hiesigen Verleger umgewandelt und ½ jährige Kündigung eingesetzt hatte.

Doch will ich Herrn Professor nicht mit den geschäftlichen Angelegenheiten belästigen.

In München wird der Boden ständig besser.

Darum „Vorwärts“ ruft

Ihr treuer und dankbarer „Praesident“

Dr. Aigner

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.07.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8836
ID
8836