Alfred Altroggen an Ernst Haeckel, Berlin, 24. Oktober 1903
Berlin W. 5 P., 24.10.03
Hoch verehrter Herr Professor!
Wenn ich, noch verhältnismäßig sehr jung und in einem Berufe, der mit Philosophie oder überhaupt höheren Dingen wohl keinerlei Berührung hat, es dennoch wage, an Sie mit einer Frage heranzutreten, so geschieht es aus dem Grunde, weil ich in meinem Ringen nach einer Weltanschauung gewissermaßen an einem wunden Punkt angelangt bin, wo ich weder aus noch ein weiß. Sie würden mich zum größten Danke verpflichten, wenn Sie mir eine Antwort auf meine || Frage erteilten. Wenn Sie aber durch Ihre Berufstätigkeit – wie ich es leider wohl annehmen muß – zu sehr in Anspruch genommen sind, so will ich mich gern bescheiden und selbst nach einem Ausweg suchen.
Zunächst bemerke ich, daß ich voll und ganz Monist bin. Ich habea mich zu einer ziemlich abgerundeten Weltanschauung emporgerungen, vielleicht verfrüht. Über einen Punkt, der zwar nicht die monistische Weltanschauung selbstb, sondern ich möchte sagen die Ein- oder Durchführung derselben betrifft, bin ich mir nicht im klaren. Es ist dies die Erziehung der || Kinder. Wie kann den Kindern der Unterschied zwischen dem sittlich Erlaubten und dem sittlich Unerlaubten gelehrt werden? Die philosophische oder naturwissenschaftliche Methode ist, wegen des mangelnden Verständnisses, von vornherein ausgeschlossen. Man kann sie auch nicht auf die Rechtswidrigkeit nach dem Gesetze hinweisen. Soll man aber die Kinder vielleicht erst im kirchlichen Glauben erziehen und später die so gewonnenen Anschauungen umstoßen? Unmöglich. Ich hoffe, daß Sie, hochverehrter Herr Professor über meine Betrachtung lächeln || und schon längst einen Ausweg gefunden haben werden.
Mit der nochmaligen Versicherung, daß Sie mich zum größten Danke durch eine Antwort verpflichten würden, schließe ich als
Ihr Sie hoch verehrender
Alfred Altroggen,
Kgl. Postgehülfe.
Berlin W. 5 P, Goebenstr. 1.
a eingef.: habe; b eingef.: selbst