Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 18. August 1900

Rechtenfleth

18 Aug. 1900.

Mein herzlieber Häckel

Was wirst Du denken von meinem Schweigen? Mußt Du Dich nicht schon vergessen meinen? Und doch kann Keiner Deiner so treu so innig, so warm [gedenken], als Dein alter Hermann es thut, denn kein Tag geht hin, da ich nicht in Gedanken zu Dir eile und in welcher Weise! nicht. [!] Bald in auflodernd jugendlicher Liebe, bald Dich begleitend in fernen Zonen und bald wieder im traulichen Studierstübchen mit Dir einer seltnen Thiergattung nachjagend und sehr oft auch in ungeheurem Glücke endlich auf jubelnd das lang und heiß ersehnte a Missing Link gefunden zu haben.

Wir fielen einander um den Hals und in die Arme als ob nun endlich das letzte Welträtsel gelöst sei und wenn urplötzlich Dein guter Walter den großen Preis von der Akademie Francaise gewinnt kann es keine größere Freude geben als unsere es war.

Wann wirst Du reisen? Noch im September oder schon im nächsten Monat? Im September hätte auch ich große Lust auf ein paar Tage nach meinem lieben Jenab zu fliegen; denn ich habe einen wackeren Gefährten, der mit Dir zu sprechen hat, einen jungen Bibliothekar aus Hannover. ‒ Und vorher ist in Bremen die große deutsche allgemeine Architektenversammlung wo ich mit dem Schöpfer unseres Karlsdenkmals zu sprechen habe. Gleich darnach wollte ich dann von Hannover aus reisen. Namentlich verlangt mich meine Freundin Frl. von Buttel und ihren Neffen den jungen Reepen in Jena zu sprechen. Diesen Sommer habe ich allerlei Unwohlsein durchzumachen gehabt bin aber diesen Herbst wieder der Alte ganz so frisch und wohl. Also bitte ich, mir Nachricht zu geben, wann Du reisen wirst und wie lange? ‒ ||

Auch in Erfurt habe ich auf der Rückreise Freunde zu begrüßen. Sonst ist Nichts weiter als daß der Monismus mit jedem Tage mehr um sich greift und Anhänger gewinnt. Und sehr hat Bölsche dafür gewirkt. Wer hätte das geahnt als wir noch auf dem mondbeglänzten Vesuv oder gar c in den warmen Bächen des Epomeo uns wohl sein ließen. O wie haben wir das Erdenleben schwelgend genossen! Wenn nur Dir noch ein herrlich Ende beschieden ist. Und unser Walter? Wie anders ists mit dem gekommen! Nun er ist so brav, wie er nur werden konnte. Und damit können wir schon zufrieden sein. Wie leid thut es mir nicht mehr auf ihn gewirkt zu haben. ‒ Mit meiner Poesie ists gänzlich aus. In meinem achtzigsten Jahre ist der letzte Vers entstanden. Jetzt strebe ich nur mein Leben so schön wie möglich zu gestalten. Im nächsten Jahre wird noch einmal in Bremen meine Elektra die Bretter passieren. Das soll mein Schwanenlied sein.

Dann mag man sehen, daß im Dichten auch mein Leben oft lag, denn da strebte ich nach Freiheit, Wahrheit und Schönheit. So bleib ich Dein treuer H. Allmers so lange ich athme.

a gestr.: Misching; eingef.: Missing; b eingef.: Jena; c gestr.: au

Brief Metadaten

ID
8740
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
18.08.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
14,0 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8740
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 18.08.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8740