Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 14. Februar 1898

Rechtenfleth d. 14. Fbr 98

Mein Haeckel.

Einen fast lautlosen Sonntagmorgen hatte ich schon seit der ganzen Woche zu diesem Briefe bestimmt und nun er da ist, sitze ich schon den halben Vormittag am Schreibtisch und so Viel ich auch sinne, Nichts will mir einfallen, das ich Deiner werth halte, ein Gefühl wie ich es peinlicher, niederdrückender beschämender und betrübender nicht kenne. Ich weiß recht gut die Ursache davon. Vor Allem ist es das, fast mit jedem Jahre schon wuchtiger lastende wiederkehrende Bewußtsein des geistigen allmählich aber sicheren a und nahen völligen Versiegens namentlich und, was mich am mißmuthigsten macht, des poetischen Schaffens.

Das Wenige, was in meinem so langen, von so herrlicher Liebe umfangenen und reich-||begnadeten Erdendasein meiner Seele entstieg, hat allerdings ja Manchen gehoben, begeistert und b (ich muß es, nach Allem was mir als klarster Beweis zu Ohren und zu Gesicht gekommen) ja glauben, sogar die liebsten und mir theuersten Menschen darunter, aber betrachte ich es ernst und Anderem vergleichend und dann wieder, wie Viel mir die Menschheit und wie Wenig dagegen ich ihr nützte, ich kann Dir sagen, daß ich bei solchen Gedanken oft genug vor Scham und Reue in die Erde sinken möchte, namentlich, wenn c Dein Bild mir vor der Seele auftaucht Dein liebes theures ruhmbestrahltes Bild.

Ja so ist es mein Haeckel, Scham und zugleich auch wieder Stolz und stolze Freude, daß ich mich d Deiner Freundschaft rühmen darf. Mit meinen Herzensergießungen müßte ich Bogen füllen, wenn ich sie kundgeben sollte, seis denn mit diesen wenigen Zeilen e gethan, weil ich Weiteres zu sagen habe. Aber nochmals und abermals Dank Dir, für Alles und Alles so lang mein Herz schlägt.

Und wenn ich an den Tag denke, der mir durch Dein Ehrenfest unvergeßlich wurde wird mir geradezu unaussprechbar zu Sinne. ||

Auch ein anderer Haeckel schreibt mir herzerquickende Briefe, Dein Neffe Julius, nächstens Amtsrichter in Potsdam, wo er buchstäblich sogar, wie er es schonf im Geiste g thut, in den Fußstapfen seines vortrefflichen unvergeßlichen Vaters zu wandeln vermag. Ein herrlicher Junge ists, der mir namenlos lieb geworden ist, der sicher noch einmal ein Mann wird an dem die Menschen ihre hohe Freude haben werden aber dennoch, (Du wirst fast zurückfahren) dennoch vielleicht ‒‒ seinen Beruf verfehlt hat! Ein Gedanke der oft genug der Gegenstand unseres Gesprächs miteinander war. Ich wills Dir sagen; er wäre sicher, wenn er gewollt – auf dem Gebiete der Kunstgeschichte ein zweiter Schnaase geworden, der doch auch gleich Julius in erster Linie die Juristerei h zum Brotstudium erkoren hatte. ‒ Leider hatte Deinem Neffen ein Mißgeschick den Lehrstuhl verwehrt durch sein fehlerhaftes Sprachorgan. ‒ Sein Schriftstil ist aber dafür umso vollendeter. Herrlich i, geradezu herrlich jk sind seine Briefe, wenn er sie bewegten Gemüthes schreibt, wie z. B. über den Tod seines Vaters, dem er ja noch einmal die Hand reichen konnte ehe dessen Leben dahin geschieden war. ‒

O, er vermag tief ergreifend zu schreiben und dazu ist sein Kunstsinn ein so reger, ja begeisterter, daß ich schon || für heilige Pflicht hielt, Alles zu versuchen, ihn aufs Gebiet des Schönen zu lenken, oder vielmehr demselben zu erhalten. ‒

Mich beschäftigt, wie ich Dir, wenn ich nicht irre, schon sagte seit mehr als 30 Jahren ein Plan in meinem alten lieben Rechtenfleth ein Denkmal erstehen zu lassen welches einem weltgeschichtlichen Ereigniß geweiht sein soll, dessen Schauplatz es war.

Das letzte Jahr sind l genau elfhundert Jahre hin, seit Karl der Große, der Gewaltige auf seinem Heereszug nach der Elbe m 797 über meine Heimat seinen Weg nahm.

Jetzt bin ich öffentlich damit hervorgetreten und habe gleich die große Freude herrlichen Anklang damit zu finden, n zumal einen Kreis von Gleichgesinnten und Freunden, die bereit sind mir zu helfen dem großen Kulturbringer und Glaubenshelden ein würdiges [Denkmal] zu errichten zugleich aber meinem geliebten Heimatsdorfe einen edlen Schmuck zu verleihen, dessen majestätisches Bild auf Goldgrund bereits schon seit dem Jahre 64 ein schönes Werk meines lieben Heinrich v. Dörnberg als rührender Beweis seiner innigen Freundschaft o die altertümliche Halle meines Hauses schmückt.

Nimm vorlieb denn mit diesem. Grüße mir die lieben Deinen und sende mir Walters Adresse die ich verlor vor Allem bleibe was Du bist Deinem

getreuen

Hermann Allmers.

a gestr.: Versiegens; b gestr.: mich der; c gestr.: ich; d gestr.: rüh; e gestr.: gethan; f eingef.: schon; g gestr.: th; h gestr.: ab; i gestr.: ist; j gestr.: ist wenn er; eingef.: sein St; k gestr.: sein St; l gestr.: es; m gestr.: (99; n gestr.: denn; o gestr.: meine

Brief Metadaten

ID
8731
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
14.02.1898
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,3 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8731
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 14.02.1898; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8731