Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 29. April 1897

Rechtenfleth

d. 29 Apr 97.

Herzlieber Haeckel.

Hoffentlich hast Du jetzt Italiens Schönheitswelt einmal wieder hinter Dir, während unser liebes einziges und unvergleichliches Jena, Dich herzerquickend von Neuem umfängt. Und, was meine zweite Hoffnung daß in Deinem lieben schönen ja herrlichen Heim a aus dem in letzter Zeit noch manche ernste und herzbewegende Klage zu mir drang, wieder Alles, Mutter und Kind, wieder frisch und wohl ist wie einst, in jenen schönen Sommertagen b deren Eindrücke so lange ich lebec beglückend im Herzen bleiben werden. Mir aber wollest Du nicht zürnen. Zweimal hast Du mir lieber lieber Junge || einen erquickenden Gruß gesandt die noch heute unerwiedert sind, weil ich solches durch einen wirklichen Brief thun wollte.

Aber wieder einmal hat das alte Sprichwort sich bewährt: Das Beßre ist des Guten Feind. Dieser rechtenflether Winter ging so einförmig und arm an jedem innern, wie äußern Ereigniß vorüber und vor Allem erfüllte mich eben, ob dieser geradezu lähmenden Öde ein solcher Unmuth daß jeder Brief an Dich d auch für Dich nichts Weniger als erquicklich gewesen wäre, denn in peinlicher Weise fühle ich, nicht das Nahen des Aufhörens zu Sein sondern vielmehr das allmähliche Abnehmen geistigen Lebens und Schaffens und Aufjubelns wie ichs einst vermochte wenn Herrliches mir in die Seele drang. Eines freilich ist und bleibt wahr; was ich

einmal zum Spruch formte: Jegliche Lust verwelkt und verblüht, doch nimmer die Freud’ am Menschengemüth. Wie stehts aber, wenn || selbst die Freude auch daran abnimmt. ef Am eignen Gemüth beginnt sie schon abzunehmen, zunächst an meinem poetischen. Meine letzte Dichtung die mir noch wirklich Freude machte ist jetzt über zwei Jahre schon alt. „Ein Wandergedicht“ lautet die Überschrift, ob ichs Dir damals gesandt habe weiß ich nicht mehr, habe ichs nicht so will ichs Dir bald vorlesen, denn eben darauf ist es berechnet, weil ich darin mit aller Macht g nach Wohllautswirkung gestrebt habe, so sehr fast, daß das Musikalische beinahe das Malerische und Geistige überwiegt. Wann also treffe ich Dich noch sicher in Jena? In ähnlicher Weise frage ich jetzt schon alle Freunde die ich im lieben Thüringerland habe und in diesem Geiste singe ich auch in meinem Wandergedicht:

Ich wandre vor Allem im Frühling gern

Wenns grünet und blühet rings Nah und Fern

Wenn die Bäche noch eilen

Mit freudgem Gebrause

Wenn die Freunde noch weilen

Mir Alle zu Hause. ‒ Genug hier davon. Nur ein sehr feiner Schmecker wird auf den Gedanken kommen, daß das Lied aus siebzigjährigem Herzen stammt. ||

Jetzt beschäftigt mich in erster Linie der durch den von mir einst gestifteten historischen Verein, ans Licht geförderte große altgermanische Urnenfriedhof im Lande Wursten unter dessen Aschenurnen sogar reich mit Reliefs geschmückte, von vollendeter Technik sich befanden, was schon überall das größte Aufsehn hervorrief denn ‒ römischen Ursprungs sind diese! h Der ganze hochmerkwürdige Fund wird nächstens vom Leiter dieser wissenschaftl. Ausgrabung herausgegeben und wer ist dieser? Mein junger zoologischer Freund der Dr. Bahls in Lehe (bei Bremerhaven) der schon durch die Wiederauffindung des merkwürdigen Lepidosiren in einem Sumpfe von Paraguai bekannt gewordne Schüler unsres Professors

Ehlers. Und mit ihm sind wir jetzt drüber aus ein zoologisch prähistorisches Heimatsmuseum in Geestemünde-Bremerhaven zu gründen und haben in dieser Sache am 9 Mai die erste große öffentliche Versammlung daselbst, Du glaubst nicht wie mächtig mich das erfüllt. Alles und Jedes erzähle ich Dir im Juni wohl in Jena. Werde ich Walter vielleicht bei Euch treffen? Dann nehme ich ihn mit nach Worpswede dem merkwürdigen Moor- und Malerdorf und nach Stotel wo ich des dortigen Grafenhofes historischen Freskenschmuck i aus der Heimatsgeschichte zu leiten habe den Düsseldorfer Künstler ausführen. Gruß denn Euch All ihr Lieben dort

von Deinem vielgetreuen alten

H. Allmers

a gestr.: ist wieder; b gestr.: die mir noch, so lange ich lebe; c korr. aus: leben; d gestr.: un; e gestr.: An meinem; eingef.: Mit dem; f gestr.: Mit dem; g gestr.: auf; h gestr.: Und; i gestr.: leite

Brief Metadaten

ID
8729
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
29.04.1897
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8729
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 29.04.1897; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8729