Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 14. September 1896
Rechtenfleth
d. 14. Spt 96
Mein herzliebster Häckel.
Daß meine so lang und so innig gehegte Hoffnung Dich endlich auf ein paar herzerquickende Tage in dieser Ferienzeit bei mir auf dem alten Erbe meiner Väter zua haben, so grausam vereitelt ist ‒ ich kann Dir kaum sagen wie weh mirs thut und was Alles für schöne Pläne damit zu Wasser wurden. Zunächst stand eine Helgolandfahrt auf dem Programm, dann ein Tag im Urwalde von Neuenburg und endlich gar noch etwas ganz Besonderes zur Freude || der Nachwelt, was ich Dir kaum sagen mag, wenigstens noch nicht sagen sollte, jedoch nicht lassen kann. Nämlich ich meine die feierliche Weihe eines Denkmals zur Erinnerung Deiner Anwesenheit in Rechtenfleth anno 1896, natürlich an schöner Stelle meines alten lieben Gartens. ‒ Vonb Allem heißt es also: „Es wär zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein.“ Obs jemals sein wird, ‒ wer weiß es! Als fünf und siebenziger mag mir bei solcher Frage ans Schicksal wohl ein Bischen ernst ums Herz werden. ‒ Fertig ist indessen das Denkmal noch nicht, der Stein dazu aber vorhanden, c Inschrift? Die möchtest Du wohl wissen. ‒
Was Dich abhielt von der Reise und der längern Abwesenheit vom Heim, das Leiden Deiner armen lieben Gattin ist, wie ich hoffen will, doch wohl jetzt entschieden d gehoben oder doch auf fröhlichem Wege zur vollen Genesung, und auch Deinen fatalen Beinbruch wirst || Du völlig überwunden haben. So kann noch einmal Alles gut werden, da auch in mir sich Lebens- und Reiselust oft genug in einem Maße regt, daß mir nur der Wunsch bleibt noch ein Bischen mehr Geld zum Reisen zu haben. Und auch mit dem geistigen d. h. poetischen Schaffen möcht es wohl besser stehn, wenn auch, was zuweilen an Dichtungen entsteht noch gar nicht sehr nach 75 Jahren aussieht ja zumal an seiner Technik oft genug Früheres weit überragt. Als Probe davon lege ich ein „Wandergedicht“ für Dich bei, das Dir hoffentlich
Freude macht namentlich durch dessene Frische und Wohllaut, vornehmlich durch meine beliebte Anwendung des Stabreims bewirkt. ‒ Ein anderes Gedicht Altgermanisches Julfest, das die Feier der Wintersonnenwende malt wird gegenwärtig von Meister Max Bruch für Chor und Orchester in Musik gesetzt und vielleicht schon wenn die „hochheilige Zeit“ da ist wirst Du unserf Werk mit || Deinem Hause begrüßen können. Du kannst denken wie gespannt ich selbst darauf bin wenns heißt:
„Hört wies da braust und johlt und kracht,
Hoch in den Wolken Nacht für Nacht
Es kündet Wuotans wildes Heer
Des holden Lichtes Wiederkehr.
Es naht des Jahrs hochheilge Zeit,
Drum rüstet Euch, macht Euch bereit u. s. w. ‒“
Und dann geht’s los. Hoch oben des wüthenden Heers Getos
Und auf Erden das Kneipen. Es wirdg famos!
Was Du mir von unserm lieben Walter schreibst sah ich Alles im Voraus. Er ist eben mit Haut und Haar ein Kind des Fin de Siecle geworden. Wer weiß wieh wir jetzt in seinem Alter wären. Nach gewisser Seite hin, bist Du selbst näher daran als Du Dir bewußt. Das Streben nach der i Wirkung der Linie freilich hast Du Dir stets treu bewahrt. ‒
Abgesehn von kleinen Ausflügen habe ich mein Daheim kaum länger als eine Woche verlassen dafür aber desto mehr liebe Menschen zum Besuch hier gehabt ‒ der liebste freilich fehlte dabei. ‒
Und nun leb wohl mein Junge, grüße mir innig Deine Lieben und bleib was Du bist
Deinem getreuen
H. Allmers.
[Beilage:]
Ein Wandergedicht.
Ich wandre vor Allem im Frühling gern,
Wenns grünet und blühet rings nah und fern,
Wenn die Bäche noch eilen mit freudgem Gebrause
Und die Freunde noch weilen mir Alle zu Hause.
Doch rückt mit der Schwüle der Sommer heran
Wie treibt es zum Meere so mächtig mich dann.
Am Strand an der Düne zu liegen zu lauschen
Der Wogen Geroll mit dem rythmischen[!] Rauschen
Saugend die Seeluft wonnig und weich
Kühl und köstlich erfrischend zugleich.
Nirgends doch mag ich im Herbste sein,
Als am Rhein, am Rebenumrankten Rhein.
Wenn klar ist der Himmel, so rein so tiefblau
Stromaufwärts, stromabwärts weit sonnige Schau
Dann zwischen den traubenbelasteten Reben
Mit lieben herzfröhlichen Menschen zu leben.
Jedoch wenn der Winter mit weißem Gewand
j Verhüllt das allmählich entschlummernde Land
Wenn Wolkengewühl den Himmel umzieht
Und im Walde verklungen das letzte Lied
Dann wohlig zu träumen in trautem Gemach
Und rufen den lieblichen Lenz wieder wach
Daß es von Neuem im tiefsten Gemüt
Singet und klinget und grünet und blüht
Sonnig und wonnig und lieblich und licht
Und ehe mans gedacht || ‒ ists ein Wandergedicht.
Ein Wandergedicht voll Frühlingsklang,
Ein Wandergedicht mit Wogengesang,
Ein Wandergedicht von Lieb’ und Wein
Mags Sausen und Brausen und Frieren und Schnein.
Hermann Allmers.
a eingef.: zu; b gestr.: Das; eingef.: Von; c gestr.: die; d gestr.: zu; e gestr.: seine; eingef.: dessen; f gestr.: mein; eingef.: unser; g gestr.: einfach; eingef.: Es wird; h gestr.: was; eingef.: wie; i gestr.: Herrlichkeit; j gestr.: Veher