Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 30. Juli 1894

Rechtenfleth

d. 30 Jul. 94

Herzlieber Häckel

Mit dem ersten August wird mein Brief wohl bei Dir eintreffen und Dich wahrscheinlich bei eifrigem Packen finden. Wohin zieht es Dich? Ins Hochgebirg oder ans Meer denn daß Du Mittelsorte wählen solltest kann ich mir kaum denken. ‒

Wie lange schon sollte dieser Brief an Dich abgehen! Wie das aber so geht, ich kam eben nicht zum Schreiben. Gestern aber überraschte mich die schöne Herausgabe des unvergeßlichen jenenser Februarfestes und brachte Dein liebes Bild mit freundlicher Mahnung mir plötzlich wieder so lebendig vor die Seele, daß || ein ferneres Säumen schier unmöglich wäre. Also los denn damit. Aber wie schön wärs hätte ich Dich just in diesem Augenblicke hier am alten grün belaufnen Steintisch an dem ich in meinem lieben Garten mit meinem Schreiben sitze und an dem die Schlendertage entstanden und von dem sicher schon Tausende von Herzensbriefen nach allen vier Himmelsgegenden zu lieben treuen Menschen gingen, denn wie unsäglich lange ists her daß ich eine ruhige herzerquickende Stunde mit Dir genoß. Und was a sind Briefe gegen eine solche! ‒ Aber die Freude Dich einmal hier zu haben, erlebe ich nicht mehr, so lebensfrisch und freudig ich auch noch bin. ‒

Ich dachte rechten Ersatz durch unsern lieben Walter dafür zu finden, aber ‒ durch unsre tieferen Anschauungen und Auffassungen der Welt und des Lebens geht natürlich leider eine Kluft, die schwerlich je ausgeglichen wird. So hat denn auch unser Briefwechsel gar keine rechte Art und wird spärlicher und lückenhafter von || Jahr zu Jahr. Ob wohl noch einmal ein Umschlag eintreten wird? ‒ Wie sollte mich’s glücklich machen. Jetzt kann ich ihm leider so ganz und gar nichts sein. Das thut mir weh. In diesen Tagen, mein ich, wird’s wieder jährig daß er nach Rechtenfleth kam. Es begann eine reizende Zeit b welche noch jetzt zwischen mir und meinen beiden lieben Nichten oft genug der Gegenstand unsres Gesprächs ist aber ‒ wie viel schöner und reicher hätte sie sein können, wenn er auf meine Vorschläge nur einmal eingegangen wäre. So reiste er ab, wie er gekommen. ‒

Jetzt ist seit Wochen mein alter liebenswürdiger Colonnagenoß der Professor und Baurath Tiede bei mir, in Berlin, wo er die 3 Museen an der Invalidenstraße baute mit Recht der „letzte Grieche“ genannt denn einen edleren und feinsinnigeren Künstler kann es kaum geben und so kannst Du denken, daß auch er sich in tiefster Seele abwendet vom Treiben der „Modernen“ so famos auch oft ihre Mache ist. Welche Gespräche unsre Zeit füllen weißt Du also. || Auch zeichnet er Viel und mit wahrer Wonne c schwelgen wir beim d Beschauen alter Skizzen in alten Erinnerungen. ‒

Reisen werde ich in diesem Jahre wohl kaum noch abgesehn von einem Herbstausflug nach Lübeck wo ein jüngst aus Italien zurückgekehrter geistvoller Freund wohnt und von dort nach Nordfriesland wohin mich eine intressante Kulturausstellung d. h. historische lockt. Auch für mein Friesenlied möcht ich dort wirken. In Ostfriesland wie an den Küsten der Jade und Weser wird es bereits mit wahrer Begeisterung gesungen, nur dem Schleswiger Lande ist es noch ziemlich unbekannt. Aber ich hege schon jetzt die schöne Hoffnung daß die Zeit gar nicht sehr fern, wo es „von Niederlands Küste, bis Dänemarks Strand“ wie es im Liede heißt, ein echtes Stamm- Heimats- und Herzenslied werden wird. Es ist mein letztes Lied, mags denn gern mein Schwanengesang bleiben. ‒

Und nun genug für diesmal. Herzensgruß Dir und den Deinen.

Bleibe was Du bist

Deinem Vielgetreuen

[Beilagen: Brief Hermann Allmers’ an Unbekannt, Hannover, 13. Februar 94, sowie Neapolitanisches Sommerlied zum 60. Geburtstag Ernst Haeckels:]

Zum 60. Geburtstag von Ernst Haeckel.

Neapolitanisches Sommerlied

aus dem Jahr 1859.

Weise: O Tannenbaum, o Tannebaum.

O Mittelmeer, o Mittelmeer,

Wie blau ist deine Bläue!

Wie strahlst Du wundersam und her,

Lockst Haeckel stets zur Wiederkehr,

Zu Dir zurück, o Mittelmeer,

Daß er sich Deiner freue.

O schöner Golf von Napoli,

Giebts Schönres denn, ihr Musen!

O welcher Reiz, o welcher Glanz

Schmückt deiner Ufer holden Kranz

Parthenope, Parthenope

Wie lag er Dir am Busen! ‒ ||

Auf Ischia, auf Ischia

Was waren das für Stunden

In ihnen, denkt! hat Haeckel ja

Nicht weit von Casamicciola

In kochend heißem Wasser da

Das traute Herz gefunden.

O Capriwein, o Capriwein,

Wie goldig ist Dein Feuer!

Paganisch, das heißt ungetauft,

Das nüchternste Kameel ersauft

Selbst Häckel seins war stets voll Weins,

Der Spaß war ungeheuer.

Messina hat nicht nur ’ne Braut,

Hat auch Radiolarien.

Die müßen freilich äußerst klein,

Weil da das Meer so eng ist sein,

Doch auch mit kleinsten Rädern kann

Zur Höh des Ruhms man fahren.

O Mittelmeer, o Mittelmeer,

Ach, daß Du schmeckst so ekel!

Wenn Capriwein Dein Wasser wär,

Wir tränken Dich mit Wonne leer

Und forderten vielleicht noch mehr

Zum Hoch (od. Toast) für unsern Haeckel.

Anmerkungen.

Andere Lesart für die dritte Strophe.

Auf Ischia, auf Ischia,

Das waren sel’ge Stunden.

In ihnen hat Freund Hackel da

Auf gluterfülltem Boden ja,

e Nicht weit von Casamicciola

Das treuste Herz gefunden. ||

f Als zweite Strophe mags auch heißen:

O schöner Golf von Napoli

Dort muß man Dichter werden.

Entzückenderes sieht man nie

Als oben von Camaldoli

g eine Welt von Poesie

Ein Paradies auf Erden.

(Ich meine aber daß die erste Lesart vorzuziehen ist.)

a gestr.: ist; b gestr.: und auf; c gestr.: durch; d gestr.: Schau; e gestr.: Das treuste Herz gefunden; f gestr.: Will man das Lied noch länger so mag Sie; g gestr.: ’ne wahr

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.07.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8722
ID
8722