Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 23. Juli 1891

Rechtenfleth

23. Jul 91

Mein alter herzlieber Haeckel

Wie alljährlich wird auch sicherlich diesmal der August Dich aus Jena entführen. So will ich ihn nicht herankommen lassen ohne Dir doch vorher meinen Herzensdank für Deine herzerfreuende Gabe dargebracht zu haben. Dein Medaillonbild ist wirklich meisterhaft und eine Lust ists zu sehen wie sprechend ähnlich, character- und lebensvoll und vor Allem wie freundlich wie liebenswürdig im Ausdruck es ist. Ja, ganz und gar mein Häckel wie er mich stets erfüllte und beglückte. Ich weiß nicht: ob Du von meiner dreimonatlichen Abwesenheit von Haus vernahmst. ||

Ich ward auf einer Reise nach Ostpreußen wo ich a gutsbesitzende Verwandte habe, im Leipziger Museum von einem b Mißgeschick ereilt, that auf der glatten Marmortreppe einen bösen Fall mit schmerzhafter Fußverletzung, lag lange damit im Hause meines lieben Gastfreundes und Heimatsgenossen des Bürgermeisters Schmidt in Halle sahc dann halb geheilt d das alte malerische Danzig und die in alter Herrlichkeit wiedererstehende gewaltige Marienburg, führte dann hart an Rußlands Grenze auf dem Gute meines Vetters ein unsägliches Schlaraffenleben das mich geradezu gründlich corrumpirt e wenn ich nicht bald f wieder westwärts eilte um nun einen vollen reichen Monat in Berlin ganz der lieben Kunst und meinen lieben Menschen zu leben. Und unter diesen nimmt Dein Neffe g Julius durch seine Liebenswürdigkeit || und sein wirklich hervorragendes Kunstverständniß einen Hauptrang ein, und war mein liebster und häufigster Genoß. Auch die wackre Tante Berta und Deinen lieben Bruder in Potsdam besuchte ich und hörte Ihr wäret jetzt so sehr in Aussteuer und Anthropogeniesachen aufgegangen, daß es wahrlich nicht gerathen sei Euch jetzt mit einem Besuch zu belästigen. Ich nahms mir denn auch zu Herzen und reiste so schwer mirs ankam Jena links liegen lassend rasch meiner Marschenheimat zu. Und es war gut, daß ichs that da die Überarbeitung des Marschenbuchs das in neuer Auflage erscheint zur größten Eile drängte. ‒ Nehmen wir also einander Nichts übel. Gern freilich hätte ich Dich auf einen Tag begrüßt, der glücklichen und famosen Lisbeth mein Mitglück bezeugt, mich an einer feinen Kümmelsuppe || erfreut und vor Allem Näheres über Euren prächtigen Kilimandscharobesieger vernommen der mich außerordentlich interessirt. ‒ Jena und Alles und Jedes darin ist mir nun einmal ans Herz gewachsen.

Noch heute erwarte ich den jungen Historienmaler Erwin Küsthardt (aus Hildesheim und der Düsseldorfer Schule angehörend) um die Malereien meines sog. Marschensaals zu vollenden und h sehe einer Reihe köstlicher Tage entgegen, denn sein schönes ideales Streben und Wesen hat ihm meine ganze Seele zugewendet. ‒ Von Julius höre ich zu meinem Bedauern [daß] Dein lieber Walter eifriger Pleinairist u. s. w. geworden ist. Hoffen wir daß die traurige Modekrankheit bald vorüber geht. Im Abnehmen ist sie auch ja schon.

Lebwohl denn jetzt mit den lieben Deinen, erfreue Dich herzlich der Ferien und Deines Glückes und vergiß nicht darüber

Deines vielgetreuen

H. Allmers.

a gestr.: einen; b gestr.: fatalen; c gestr.: reiste; eingef.: sah; d gestr.: noch; e gestr.: hätt; f eilte es; g gestr.: durch sein; h gestr.: bin

Brief Metadaten

ID
8708
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
23.07.1891
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8708
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 23.07.1891; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8708