Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 2. Mai 1887

Rechtenfleth 2 Mai 87.

Mein herzliebster Haeckel.

Da der Mai gekommen, wirst sicher sammt dem kleinen a sang- und wanderlustgen Federvolke auch Du wieder aus dem Süden ins liebe waldgrüne Thüringen zurück sein. Darum will ich eilen Dir meinen Dank und meine Freude auszudrücken über die beiden freundlichen Grüße mit denen Dein treues Herz das meine erquickte. Vor Allem war es das Blättchen das aus Jerusalem zu mir herflog, was mich außerordentlich erfreut hat. Schäme ich mich doch ganz und gar nicht offen zu bekennen daß b meine Seele, obwohlc sie sich in freudigstem Vertrauen ja fester Überzeugung den großen Wahrheiten der herrlichen Lehre, die Du verkündest öffnet und bestrebt Sie || nach Kräften zu erfassen und zu ergründen, trotzdem ist sie zugleich im Stande bis in ihrem tiefsten Grunde undc fast ebenso lebendig das wundersam geheimnißvolle Wesen d nachzuempfinden wie es von Jerusalems geweiheten Stätten schon Millionen entgegen strömte und heiligem Schauer erfüllte. Und glaube mir ‒ ich freue mich dessen aufrichtig, denn mein Leben wäre fürwahr weniger reich und minder glücklich wenns anders wäre. ‒ Um nur das Eine hervorzuheben: die ganze christliche Kunst

würde mir ja verschlossen, wirkungslos, e selbst || zum Theil unerfreulich, ja sogar widerwärtig sein ‒ wie sie’s Dir ist. ‒

Habe nun aber nur keine Furcht daß ich rückfällig werde und gar völlig f untreu Deiner und Deines Meisters Lehren, ergötze Dich dagegen daran, daß während Du (Deiner Karte nach) auf heiligem Boden wandeltest, am Bach Kidron, am Oelberg, im Garten Gethsemane oder gar auf Golgatha g umblaut vom herrlichen Himmel des Orients; was trieb ich während der Zeit? - Ich saß in meinem treulichen Stübchen, beim warmen Ofen und vertiefte mich mit neuem Hochgenusse in ‒ || Haeckels Natürliche Schöpfungsgeschichte, die noch auf meinem Tische liegt. ‒

Daß mich übrigens h gelüstet von Deiner Orientsspritze dochi etwas mehr zu vernehmenj als die beiden Karten mir meldeten (so sehr sie mich erfreuten) wirst Du natürlich finden. Nicht wahr, sobald Du mal recht Muße dazu hast, schreibst Du mir einige Zeilen. ‒

Ruhig, behaglich und fleißig verbrachte ich den Winter, freue mich des Frühlings u. hoffe auf manche liebe Menschen die mir der Sommer herführen soll. Den Juli hindurch aber möcht ich wieder wandern. Wohin weiß ich noch nicht recht. Sehr lockt mich Oberhessen und die Mosel; mir Beides fremd. Meine k Romfahrt hängt von der Vollendung des naturwissenschaftl. Museums in Berlin ab. Wird dessen Erbauer mein lieber röm. Mitschlenderer, der Baurath Tiede diesen Herbst fertig ziehen wir zusammen wieder ins Land Italia. Hurrah, hurrah! ‒ Vorläufig will ich aber sehen mein geplantes Buch l von der Seele los zu werden.

Auch eine kl. kunstgeschichtl. Arbeit ist in diesen Tagen m gedruckt worden, die Dir bald zugehen soll.

Und somit leb wohl grüße herzlich die lieben Deinen und bleibe was Du bist

Deinem treuen

H. Allmers.

a gestr.: gefie; b gestr.: ich; gestr.: da; eingef.: obwohl; c gestr.: des jenes; eingef.: und; d gestr.: zu; e gestr.: ja; f gestr.: An; g gestr.: sie; h gestr.: nach; i eingef.: doch; j zu vernehmen; k gestr.: Ob; l gestr.: zu machen; m gestr.: von mir

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.05.1887
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8694
ID
8694