Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 6. September 1882

Rechtenfleth

6 September 82.

Herzlieber Haeckel

Unter dem frischen vollen und tiefen Eindrucke Deines letzten indischen Briefes in der Rundschau schreibe ich Dir heute, den ich nicht vergehen laßen kann ohne Dir innig zu danken für den hohen Genuß, ohne Dir zu sagen, wie tief und nachhaltig ich a davon b ergriffen war, da ich das Heft aus der Hand legte. Wie lebendig hatte ich Dich von Blatt zu Blatt im Geiste begleitet c überall und überall wo Du standest und gingest, fuhrst oder schwammst und segeltest, in derd grünen Dämmerung der Wildniß, wie in der ungeheuren Lichtfülle die Meer und Himmel umfing, || und wieder bei e emsiger Arbeit im stillen Raume Deines Laboratoriums. Ich nahm Theil am Ernsten wie am Lustigen, was Dir begegnete aber f Keines von Allem habe ich Dir so in tiefinnerster Seele nachempfunden als Dein Gefühl beim Verlaßen Deines armen lieben Ganymed, der durch Dich vielleicht zum ersten mal in seinem Leben erfahren hat, was echte Menschenliebe ist. Nun ist erg wieder h seinem unwürdig verachteten Dasein und aller harten und lieblosen Behandlung zurückgegeben und hat Nichts alsi Dein liebes Bild, welches fort und fortj wie eine überirdische Lichtgestalt vor seiner Seele schweben wird, k den armen lieben schönen und stillen Knaben ihnl an das herrlichste Stück seines Jugendlebens erinnernd. || Außer diesem Bilde im Herzen hat er doch auch Dein anderes das die Sonne malte? Wie wird er das Heiligthum bewahren und immer wieder und wieder betrachten. Solltest Du ihm m auch aus der Ferne nicht noch Gutes und Liebes erzeigen können? Ihm vielleicht durch Empfehlung eine angenehme Dienerstelle inn gutem Hause verschaffen? Du rühmst ja so manche Familie. Sollte ers wirklich nicht in Deutschland aushalten können? Wie mag er jetzt doppelt sein verachtetes Loos empfinden. –

Genug Du siehst ich kann und kann gar nicht davon loskommen den ganze Tage hindurch liegen mir Deine indischen Briefe im Kopfe. Ist es doch das Schönste und Herzerfreuendste was Du je geschrieben hast und wird Diro zu den zahllosen alten unzählige neue Freunde || und Verehrer gewinnen. Mir aber läßt es von Neuem den Gedanken aufsteigen daß es doch schön wäre und Dir vielen vielen Dank einbringen würdep das Beste, Lebendigste und Intressanteste aus Deiner Wandermappe gesammelt q mit reichem Bilderschmuck heraus zu geben. Die Verleger werden sich darum reißen und raufen.

Das sollte auch ein Thema unserer Unterhaltung werden in den Tagen meines Besuches bei Dir. r Als ich vom Haus fortreiste glaubte ich nämlich fest s noch vor Schluß des Semesters in Jena t sein zu können aber meine Angelegenheit in Leipzig zog sich leider ungeahnt in die Länge und so warst Du bereits wieder in die schöne weite Welt geflogen als ich anfragte ob Du daheim seist. Glaube nur – es that mir das nicht wenig leid. – ||

Und nun vernimm warum ich jüngst in Leipzig und Weimar war. – Nicht nach Indiens Wunderwelt geht mein Dichten und Trachten, aber nach einem andern Lande, das u auch Dir einst immer so herrlich vor der Seele stand und wie ich hoffen will doch auch jetzt noch nicht so ganz durch jene Eindrücke daraus verdrängt ist. Du weißt, was ich meine. Italien ists, das blaue Mittelmeer und – mein Rom. Und v eben mit diesem hing meine Reise aufs Engste zusammen, in römischem Intresse und Auftrag führte ich meine Mission aus. In Gemeinschaft mit einem buchhändlerischen Freunde und Landsmann in Rom veranstalte ich eine allen deutschen Romfahrern (gewesenen und gegenwärtigen) gewidmete w herrlich ausgestaltete und reizende Neujahrsgabe deutscher Dichter der Gegenwart, welche die ewige Stadt je begeistert und beglückt hat und zwar in Form x || einer antiken Bücherrolle die zugleich einen Kalender enthält. Um ein zierlich Elfenbein- oder Ebenholzstäbchen wickeln sich die 12 pergamentnen Monatsblätter, reizvoll geschmückt und schimmernd mit Gold und Purpurschrift, farbenleuchtenden Initialen Vignetten und Kopfleisten. Der Hauptschmuck derselben aber sindy die dichterischen Beiträge zu welchen ich den ganzen deutschen Parnass aufgeboten habe, d. h. so weit er mit der ewigen Stadt in Beziehung steht. Und zu meiner großen Freude habe ich die herrlichsten Sachen erhalten und so Viele daß sie selbst fast für den folgenden Jahrgang reichen. Bodenstedt und P. Heyse Graf Schack und Woldemar Kaden und Fitger und Hermann Allmers und wie die famosen Genies alle heißen. Aufs Bereitwilligste legten sie mir die besten Gaben zu Füßen so wie ich nur den Finger hob und auchz Du wirst Deine wahre Freude daran haben, falls Indien aa Dir noch irgend Raum ließ für andre Intressen. Was endlich mir das Erfreulichste ist – ist die reizende bb Aussicht auf || einen Mitgewinn (ohne Risico)cc, der wie mein Verleger meint sehr wahrscheinlich eine neue Romfahrt decken kann. Doch genug jetzt davon. –

Während ich in Leipzig durchdd allerlei ee Vorbereitungen zum Farbendruck zum Warten genöthigt war machte ich einen reichbelohntenff Ausflug nach Dresden, das ich seit 1856 nicht wieder gesehn. Vier Tage hindurch schwelgte ich dort in gg alten lieben Herzen und in alten herrlichen Bildern war dann wieder einige Tage in Leipzig und kehrte nach kurzem

Aufenthalt in Weimar, Gotha, Eisenach und Cassel in meine stille Marschenheimat zurück die ich für dies Jahr wohl nicht wieder verlasse. Wie hh gern ich Dich und Deine indischen Zeichnungen Aquarelle und Oelskizzen gesehen hätte kann ich Dir gar nicht sagen, dachte aber nicht im Entferntesten daran daß Du schon wieder auf Reisen gehen würdest und ärgere mich namentlich Dir nicht von Leipzig oder schon vorher eine || anfragende Karte gesandt zu haben. –

Gespannt bin ich ob Du Dein Vorhaben Ceilon in Wort und Bild herauszugeben ausführen wirst oder schon den Plan aufgegeben hast. Soll ich Dir offen meine Meinung sagen fürchte ich ein allzu kleines Publicum dafür zumal ii Gesammtindien bereits in der Weise durch Schlagintweit dargestellt wurde. Auch ich gehe mit allerlei jj literarischen Plänen schwanger historischen und poetischen, doch davon in einem andern Briefe. Jetzt hättest Du auch kk wohl noch kein Ohr ll oder Herz dafür.

Grüße mir aber herzlich Deine liebe treue Penelope und Deine Kinder und bleibe ferner zugethan

Deinem alten treuen

H. Allmers

a gestr.: de; b gestr.: ge; c gestr.: werde; d korr. aus: die; e gestr.: still; f gestr.: von; g gestr.: lebte; eingef.: ist er; h gestr.: den düsteren unwürdigen Ver; i eingef.: hat Nichts als; j gestr.: noch gibt das; eingef.: welches fort und fort; k gestr.: in; l eingef.: ihn; m gestr.: nicht; n gestr.: bei; eingef.: in; o gestr.: zu den zahlo; eingef.: wird Dir; p gestr.: wenn; eingef.: würde; q gestr.: weit; r gestr.: Er; s gestr.: Dich; t gestr.: zu; u gestr.: he; v gestr.: dies; w gestr.: und; x gestr.: eines; y gestr.: eines Jeden aber ist das; eingef.: desselben aber sind; z eingef.: ich; aa gestr.: Dich; bb gestr.:Hoffnung; cc eingef.: (ohne Risiko); dd gestr.: auf; eingef.: durch; ee gestr.: Farben; ff gestr: wichtigen; eingef.: reichbelohnten; gg gestr.: lieben; hh gestr.: sehne mich; ii gestr.: die; jj gestr.: lieben; kk gestr.: schon; ll gestr.: dafür

Brief Metadaten

ID
8682
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
06.09.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
14,2 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8682
Zitiervorlage
Allmers, Hermann an Haeckel, Ernst; Rechtenfleth (Weser); 06.09.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8682