Max Hermann Baege an Ernst Haeckel, Wilhelmshagen, 2. März 1911

WISSENSCHAFTLICHE RUNDSCHAU

ZEITSCHRIFT FÜR ALLGEMEINWISSENSCHAFTL. FORTBILDUNG DES LEHRERS

a WILHELMSHAGEN B. BERLIN, DEN 2. III. 1911.

Hochgeehrter Herr Geheimrat,

zunächst sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank für das mit gütigst dedizierte „Sandalion“, das durch Ihre liebenswürdigen Widmungszeilen mir noch ganz besonders wertvoll geworden ist. Das ist nun schon das zweite Werk aus Ihrer Feder, das ich von Ihnen, hochverehrter Meister, mit einer persönlichen Widmung versehen dediziert bekommen habe. Beide Werke bilden für mich den wertvollsten Bestandteil meiner Bibliothek und mit Stolz werde ich sie einmal meinem Jungen vererben, der schon jetzt knapp siebenjährig, ausgesprochenen Sinn für Naturwissenschaften und besonders für Beschäftigung mit Tieren besitzt. Er will dann auch „zoologischer Gartenmann“ werden, sich aber die Tiere dann selbst aus den verschiedenen Ländern holen und hofft dann genau so auszusehen wie „Onkel“ Haeckel ( – er sagt nun einmal nicht anders) auf dem Titelbild zu den „Indischen Reisebriefen“ aussieht. Kein Bild hat ihn je wieder so imponiert wie dieses. Ja, er kennt „Onkel“ Haeckel ganz genau und keine größere Freude kann ich ihm bereiten, wenn ich ihm von || Ihren Forschungsreisen in einer seinem kindlichem Fassungsvermögen angepaßten Sprache erzähle. Dann blitzen seine hellblauen Augen noch mehr als sonst und allerlei gute Absichten und schöne Pläne äußert er dann. Sie hätten übrigens den Jungen einmal sehen müssen, als ich ihm, vor etwa Jahresfrist – um einmal zu sehen, wie er sich dazu verhalten würde – Ihre „Kunstformen der Natur“ zur Betrachtung übergab. 2½ Stunde hat der Junge damit zugebracht und manch interessante Frage dabei gestellt. Viele Tiere, die selbst mancher Laie nicht kennt, kennt er genau, meist vom oftmaligen Besuch des zoologischen Gartens und des Aquariums her. Wenn ich ihn für längere Zeit ganz still in meinem Zimmer haben will, brauche ich ihm nur zu erlauben, die „Kunstformen“ sich zu nehmen. –

Neulich war er aber geradezu prächtig. Ich hatte Besuch und der betr. Herr fragte den Jungen, was er werden wolle. Da stellte er sich stolz vor Ihrem mein Arbeitszimmer zierenden Bilde auf, zeigte mit dem Finger hin und sagte: „Ein Naturforscher, wie „Onkel“ Haeckel da“. Nun, er hat sich großes vorgenommen. Er und ich werden schon einmal zufrieden sein, wenn er nur den hundertsten Teil auf seinem späteren Arbeitsgebiete zu leisten vermag, von dem, was sein großes Vorbild geschaffen hat; aber Kinder sind ja immer unbescheiden…

Doch wohin bin ich geraten! Nicht von meinem Jungen wollte ich Ihnen schreiben, sondern von dem Erfolg unserer neulichen Veranstaltung gegen den Keplerbund berichten. ||

Vielleicht haben Sie schon aus der „Vossischen Zeitung“ und der „Volkszeitung“ von dem Verlauf der Veranstaltung gehört. Aber diese Zeitungsberichte sind nicht gut. Vor allem sind zwei wertvolle Tatsachen nicht genügend hervorgehoben, nämlich

1.) die, daß Dr Hauser Entwicklungslehre anerkannt hat, wenn auch lediglich nur als Arbeitshypothese und

2.) die, daß sowohl Dr Hauser wie Dr. Sachs das Vorgehen des Dr. Brass gegen Sie verurteilt haben, Dr. Hauser tat das sogar mit einer gewissen Schärfe.

Das ist zwar zunächst nicht viel, besonders dann nicht, wenn diese Herren nun auch in ihrem Bunde nicht für ihre persönlichen Anschauungen Propaganda machen. Und ich habe deshalb auch in meinem ca. ¼ stündigen Schlußwort, über das leider keine Zeitung berichtet, darauf hingewiesen, daß wir Dr. Sachsʼ u. Dr. Hauser’s Erklärungen erst dann ernst nehmen können, wenn diese Herren nun in ihrem Bunde dafür Sorge tragen, daß ihre Anschauungen zum Durchbruch gelangen und daß Brass aus dem Bunde entfernt werde. Ich wies ferner ganz energisch darauf hin, daß zwar einige der Herren vom Vorstande der Berliner Ortsgruppe des Keppler Bunds sich zur Stunde recht modern gegeben hätten, daß das aber nun noch lange nicht, wie das Vielhaber zu glauben scheint, b die offizielle Anschauung des Keppler Bunds sei, sondern daß dafür allein die Äußerungen der offiziellen Vertreter, d. h. der Mitglieder des Gesammtvorstandes des Keppler Bunds, also der Herren Dennert, Tendt u. s. w. ausschlaggebend seien und daß schon allein die Tatsache, daß || die offiziellen Äußerungen des Keppler Bunds immer nur von der reaktionären Presse aufgenommen und bewillkommt werden, ihn uns verdächtig machen müsse.

Wichtig war schließlich noch die Tatsache, daß die Vertreter des Keppler Bunds, besonders wieder Dr. Hauser, unumwunden zugeben, daß die Entwicklungslehre durch die Schematisierung von Embryonenbildern nicht im Geringsten tangiert werde.

Im übrigen habe ich den Eindruck gewonnen, als ob Herr Dr. Vielhaber den Keplerbündlern zu sehr entgegengekommen sei. Er wollte mich von Anfang an – noch ehe ich gesprochen – auf diesen sogen. „versöhnlichen“ Ton festlegen. Als ich das aber ablehnte, war er mir sehr böse. In meinen Schlußausführungen (in der Diskussion) hatte ich ferner darauf hingewiesen, daß man die Ausführungen der Herren vom Berliner Keppler Bund mit Vorsicht aufnehmen müsse und daraus nicht den Schluß ziehen dürfe, daß der ganze Keppler Bund sich gewandelt habe und deshalb an ein Zusammengehen mit dem Keppler Bund – auch nur in praktischen Fragen der Kulturpolitik – nicht, niemals sogar zu denken sei. Dr. Vielhaber hatte nämlich dergleichen durchblicken lassen, indem er sagte, (S. Bericht der Volkszeitung) die Leiter des Keppler Bunds ständen ja auch schon auf dem Boden der Entwicklungslehre (?!) und die Entwicklungslehre sei ja auch das was uns Monisten eine.

Vielhaber sprang sofort wütend auf und verwahrte sich gegen meine Äußerungen und – schnitt mich in der Folge. Zu meiner Freude haben mir aber Dr. Körber, Juliusburger und Stabel zugestimmt. – – ||

Ich halte Vielhaber für einen sehr tüchtigen, hochbegabten Menschen, der auch dem Deutschen Monisten Bund durch schriftstellerische Betätigung besonders von großem Nutzen sein kann; ich halte es aber für geradezu gefährlich, wenn er an eine leitende Stelle gesetzt wird und das Amt des Vorsitzenden der Berliner Ortsgruppe ist eine solche leitende Stelle. Die Herren vom Vorstande des Berliner Keppler Bunds umschmeicheln ihn nun noch mit den liebenswürdigsten persönlichen Privatbriefen (2 davon habe ich gelesen) und, da Dr. Vielhaber für dergleichen eine gewisse Empfänglichkeit besitzt, kann er den Herren nicht genügend unbefangen und vorurteilsfrei entgegentreten.

Und dazu kommt schließlich noch, daß Dr. Vielhaber sich in seinem tiefsten Denken noch nicht völlig aus den Banden der Metaphysik und Mystik hat befreien können – ihm fehlt eben die naturwissenschaftliche Grundlage! In der metaphysischen Ecke seines Denkens trifft er nun mit den Herren vom Keppler Bund oft zusammen, merkt, daß er da mit ihnen übereinstimmt, und sieht daher in den Keplerbündlern nichtc die Gefahr, die wir anderen, hier wahrnehmen. Weil er sich in seinem Denken mit dem der Keppler Bund-Leute berührt, glaubt er, berühre auch der Deutschen Monisten Bund sich mit dem Keppler Bund, und so hofft er auf eine Versöhnung. ||

Ähnlich liegt die Sache übrigens auch bei Horneffer, der meiner Meinung nach deshalb auch nicht an Spitze des Deutschen Monisten Bunds gehört. Beide, Vielhaber und Horneffer, verlangen vielmehr eine gewisse Berücksichtigung, damit sie keine Dummheiten machen. –

Was die Ihnen mit Recht höchst unangenehme Formulierung meines Vortrages anbetrifft, habe ich wiederholt dagegen Einspruch erhoben, leider ohne Erfolg! Dr. Vielhaber hielt aber seine Formulierung für die richtigere, weil zugkräftigere. –

Zum Schluß gestatte ich mir noch, Ihnen mitzuteilen, daß ich zur Zeit dabei bin, mit dem Keppler Bund d in einer Broschüre von 5 Bogen Umfang, die im Neuen Frankfurter Verlag erscheinen wird, gründlich abzurechnen. Ich hoffe, daß ich in diesem Monate mit dem Manuskript zu Ende komme, so daß das Schriftchen noch um Ostern herum erscheinen kann. Das erste Exemplar, das die Presse verläßt, werde ich mir erlauben, Ihnen als Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung zu senden. Ich darf wohl e für das Büchlein auf eine freundliche Aufnahme hoffen?

In größter Verehrung u. Dankbarkeit

Ihr ergebenster

M. H. Baege.

a gestr.: LEIPZIG; b gestr.: und; c eingef.: nicht; d eingef.: mit dem Keppler Bund; e gestr.: dann

Brief Metadaten

ID
8256
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Wissenschaftliche Rundschau
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
02.03.1911
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
14,6 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8256
Zitiervorlage
Baege, Max Hermann an Haeckel, Ernst; Wilhelmshagen; 02.03.1911; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8256