Baerenbach, Friedrich von

Friedrich von Baerenbach an Ernst Haeckel, Wien, 10. November 1876

Wien (Grand Hôtel) 10. Novb. 1876.

Hochgeehrter Herr!

Vielleicht ist Ihnen schon vor einiger Zeit ein größerer Artikel der „Neuen freien Presse“ zu Handen gekommen, in welchem Johann Gottfried v. Herder auf Grundlage seiner interessanten Spekulationen in den „Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit“ als Vorgänger der Darwin’schen Lehre hingestellt wurde. In gewissem Sinne also Herder als Vorgänger Darwins und der durch Sie ausgebildeten Naturphilosophie darzustellen, war die Aufgabe der vorliegenden Schrift, welche ich Sie als Zeichen meiner innigsten Bewunderung und Verehrung freundlich entgegenzunehmen bitte.

Ob die Schrift ihrer Aufgabe wirklich gerecht geworden ist und dadurch Mühe und Fleiß mehrerer Jahre, durch welche diese comparative Forschungsarbeit mein Lieblingsstudium war einigermaßen gelohnt wird, wage ich nicht zu entscheiden, empfehle vielmehr die Entscheidung dieser Frage dem freundlichen Urtheil der beiden Männer, denen das oberstrichterliche Urtheil gehört, den viel genannten und gepriesenen || Vorkämpfern der modernen Naturwissenschaft und Naturphilosophie, als welche ich – wol in Übereinstimmung mit allen denkenden Anhängern der Lehre – die Namen Darwin und Häckel genannt habe.

Zur Richtschnur nur so viel, daß es das Interesse für die moderne Forschung und Naturphilosophie war, welche ich – wie Sie aus der Schrift ersehen werden – für die größte geistige Errungenschaft unseres Jahrhunderts erklärt habe, was mich, als ich einmal in den „Ideen“ des von mir nicht nur mit dem Mund, sondern mit vollem Herzen geschätzten Herder verwandten Thesen begegnete, bewog, der aufgeworfenen Frage mit Eifer und Liebe nachzugehen und sie, soweit dies in meinen schwachen Kräften stand, zu lösen.

Ich zweifle nicht daran, daß Sie, verehrter Herr, manchen Ungenauigkeiten in meiner Schrift begegnen werden, wie sie mir trotz meinem redlichen Bemühen in Folge von Unkenntniß mancher wichtigen Sache leicht unterlaufen sein mögen. Ich bitte Sie aber mit allem Aufwand Ihrer Nachsicht gegen manches zu Viel und zu Wenig, wie es die noch lang nicht genug wissenschaftlich durchbildete Individualität des Verfassers eben mit sich brachte, diese Unebenheiten || mild beurtheilen zu wollen. Ihre Nachsicht wird aber – wenn ich rechten Glaubens lebe – nicht geringer sein als die Gewissenhaftigkeit mit der Sie und Darwin die Verdienste Aller registriren, die auf dem von Ihnen beherrschten, den ganzen Menschen fordernden Gebiete des Naturwissens, thätig waren.

Hoffentlich wird, wenn Sie diesen billigen Maßstab an die vorliegende Schrift legen, Ihr Urtheil ein für die Sache selbst günstiges sein, und Sie werden gewiß in gar vielen Punkten, mir recht geben müssen, wenn ich Herder zum Profeten [!] Ihres Reiches, zum Bahnbrecher und Vorbereiter der Naturphilosophie gestempelt, die wol – wenn ich meinem Nachdenken über diese Frage trauen darf – jeder bedeutende Philosophirer der nächsten und späteren Zukunft die Richtung geben wird.

Es will mir scheinen, als würde dadurch erst der Universalismus nun in der Philosophie begründet, als kämen wir dadurch von Philosophen, die bei der Lampe mit algebraischen Zeichen, Zauberkreisen und Abstraktionen arbeiteten, zu Philosophen, denen die Lampe im Kämmerchen zu trüb erscheint, die sich von den Sternen auf ihrem Wege leuchten lassen und mit den conkreten Faktoren der Natur arbeiten und endlich der Natur und dem Leben der Gattung || einen Platz in der Philosophie einräumen. Das klingt wohl noch verworren und ich will es auch nicht fortspinnen, um Sie damit zu langweilen. Nur so viel daß auch ich dem Glauben anhänge daß die moderne Forschung und Naturphilosophie auch eine neue Aera der Philosophie im Gefolge haben, deren gewaltigen Grundstein gelegt zu haben, Ihnen und Darwin wol niemand das Verdienst abstreiten wagen wird.

Entschuldigen Sie die Weitschweifigkeit dieses Schreibens, sie war vielleicht nicht überflüssig, wenn ein Reflex von der vorliegenden Schrift auf die persönliche Gesinnung des Verfassers fallen sollte.

Nehmen Sie darum das Werk, das ja nur ein kleiner, verwendbarer Stein in Ihrem großen Bau für Jahrtausende werden will, freundlich und wohlwollend auf und gewähren Sie mir Ihr hochgeschätztes Urtheil.

Sobald ich in Ihre Stadt komme, hoffe ich auf das Glück, Sie persönlich kennen zu lernen. Bis dahin genehmigen Sie die Versicherung der

innigen Erwiderung und Verehrung

Ihres

Friedrich von Bärenbach

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
10.11.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8236
ID
8236