Edmund von Bartels an Ernst Haeckel, Messina, 6. September 1861

Messina den 6t Sept 1861

Liebes, altes, treues Haus!

Meinen innigsten, herzlichsten Dank für Ihre so lieben Briefe, deren Beantwortung ich leider erst jetzt unternehmen kann.

Ich kann Ihnen leider auf Ihre frohen, lebenslustigen Bilder nur mit traurigen Mittheilungen antworten. Eine derselben bezieht sich auf Peters, der mit 24000 Unzen fallirt ist und zwar in einer keineswegs sehr kleinen und ehrenhaften Weise. Das glimpflichste Epitheton, welches man ihm beilegen kann, ist das eines bodenlos leichtsinnigen Menschen, eine bessere Kenntnis seiner Bücher wird ihn vielleicht zu etwas anderem stempeln. Seit gestern befindet er sich in Hausarrest unter der Obhut von Carabinieri. Seine arme Frau, die er erst sehr spät in seine Verhältniße (und auch dann noch bloß halb) eingeweiht hatte hat furchtbar gelitten und gekämpft und ist es Glück, daß er im Stande war, sie zu bewegen, das älterliche Haus aufzusuchen. Die arme Seele! Sic transit gloria mundi!

Die 2te Nachricht ist über mich selbst.

Meine Gesundheit hat in letzter Zeit so heftige Anfälle aushalten müssen (Blutspeien, Pleuritis, Fieber, fabelhaften Auswurf etc.) daß ich mich entschlossen habe, meine Siebensachen aufzuraffen und mich nach Cairo zu begeben und zwar binnen 14 Tagen.

Ein längerer Aufenthalt in den so ungünstigen Klimakreisen und den für mich so drückenden hiesigen socialen Verhältnißen möchte mich binnen 6 Monaten vollends zu Boden schmettern.

Meinen psychischen Kampf habe ich überwunden, ich bin jetzt ruhig. Sie haben mich überzeugt und werde ich mich nicht wieder aufregen. Sie wissen, wie wenig mir selbst mein Leben gibt, wissen aber auch mit welcher Liebe ich an meinen Ältern hänge und sie an mir. Aus diesem Grunde bin ich moralisch verpflichtet, etwas für meine Gesundheit zu thun. Leider habe ich gestern auch neue ziemlich starke Albuminurie entdeckt, von der || ich annehmen muß, daß sie schon länger in mir gesteckt, da ich gar nicht selten jene Lendenschmerzen verspüre, ohne sie weiter zu beachtena, da ich weniger Hypochonder bin, als die Leute glauben. Die fabelhafte Neigung meines Urins zur Alkalescenz und amonikalischen Zersetzung trieb mich gestern zufälligerweise dazu, denselben zu untersuchen, und ich fand jenen Eiweißgehalt.

Ich hoffe, die Transplantation auf frische Erde, wo ich sprossend Wurzeln der Thätigkeit treiben kann wird meiner stockenden Vegetation schon wieder einiges helfen psychisch wie physisch.

Sartorius von Waltershausen habe ich gesehen, sogar in Gegenwart des Herrn Jaeger, b ohne ihm jedoch vorgestellt zu werden, was um so sonderbarer ist, als ich mich in letzterer Zeit mit der Familie Jaeger auf einem fabelhaft intimen Fuß hinaufgearbeitet hatte, sowie ich nach und nach auch sonst allgemeines Versöhnungsfest gefeiert habe.

Was sagen Sie dazu, teurer Freund, 4 Jahre in Sicilien gewesen zu sein, ohne den Aetna erstiegen zu haben, ohne Siracus und Palermo haben erblicken können. Das aber ist mein allgemeines Schicksal gewesen. Zwei Mal in Dresden gewesen, ohne die Galerie gesehen zu haben, 14 Tage in Paris ohne ein einzigstes Museum, ohne einen Blick in den Louvre geworfen zu haben, 5 Wochen in Neapel ohne Capri, Sorrente, Amalfi und Castellamare besucht zu haben!

Meine neue Aera wird mir hoffentlich Gelegenheit geben, die ärztliche Stellung aufgeben zu können. Mit meiner Sprache und Musikkenntnißen muß es mir dort gewiß gelingen, meine Existenz auf andere Weise fristen zu können als in der des Aeskulap.

Haben Sie Bekannte in Alexandrien oder Cairo? Ich nehme jede Empfehlung an mit Dank.

Sie können Sich nicht vorstellen, lieber Haeckel, welche unendliche || Freude es mir machte aus Ihrem Briefe zu sehen, daß Sie mit Naumann befreundet sind, er ist eine prächtige Seele und Sie werden ihm die beiliegenden Zeilen von mir überreichen.

Entschuldigen Sie, lieber Haeckel, wenn ich hier meine Zeilen abbreche, allein, Sie begreifen, daß ich bei meinem so jähen Entschlusse (seit vorgestern) ganz zu thun habe, meine Sachen zu reguliren und mich bei meinem Gesundheitszustande (Appetitlosigkeit, und zwar vollständigster, seit fast 3 Wochen) ich schonen muß.

Der Himmel geleite Sie und schütze Sie vor den Gefahren, denen ich am Ende doch erliegen werde. Sein Sie aber ruhig meinetwegen, ich versichere Sie auf Ehre, ich bin resignirt und entschlossen, die Klippen in Zukunft zu meiden an denen ich bisher gescheitert.

Es grüßt Sie von Herzen Ihr treuergebener

Bartels

a korr. aus: beobachten; b gestr.: der

Brief Metadaten

ID
8116
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Italien
Datierung
06.09.1861
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,4 x 26,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8116
Zitiervorlage
Bartels, Edmund von an Haeckel, Ernst; Messina; 06.09.1861; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8116