Edmund von Bartels an Ernst Haeckel, Messina, 20. Juli 1861

Messina 20st Juli 1861

Lieber Haeckel!

Ich weiß nicht, ob Sie meine beiden letzten Briefe erhalten haben, der Eine in Form eines Briefes, der andere als Circular. Mir ist daran gelegen, zu wissen, ob Sie in Ihre Hände gelangt sind. Haben Sie die Bekanntschaft meines Freundes Ernst Naumann gemacht? Bitte schreiben Sie mir doch, lassen Sie doch etwas von sich hören, einerlei welcher Art. Mir ist zuviel daran gelegen, zu wissen, wie es Ihnen geht. Keferstein hat mir geschrieben. Er wird zum Frühjahr heirathen und nicht nach Messina kommen. Auf sein Kommen übrigens hatte ich mich nicht allzusehr gefreut, desto größer aber würde mein Jauchzen, mein Frohlocken sein, wenn ich Ihr liebes Gesicht wiedersehen könnte. Ich glaube Sie zu kennen, mehr als mich selbst und liebe Sie, wie man einen Bruder liebt und Sie werden mich genug kennen, um zu wissen, daß ich nicht schmeichle. Schreiben Sie mir deßhalb. Von Jena aus habe ich noch kein Wort von Ihnen.

In Messina ist alles wieder im alten Geleise, nur nicht mein Herz. Ich habe trübe Entdeckungen und Enttäuschungen durchgemacht. Ich habe bald nichts mehr, was mich an die Menschen an Messina bindet und im nächsten Jahre wird sich wohl mein Schicksal wenden. Die Götter mögen wissen wie.

Meine damalige Krankheit scheint unheilbare Ausgänge hinterlassen zu haben; ich glaube, eine Obliteration der Vasa spermatica. Die Überraschung ist unangenehm, doch unabänderlich und muß ich somit mit dem Leben eines ewig grünen Junggesellen bon gré, mal gré vorlieb nehmen. Sie begreifen, daß ich bei der gänzlichen Entsagung des häuslichen Glückes im Familienkreise mich mit || Fanatismus jenem Lebenszwecke die Arme geworfen habe, dem ich gesonnen bin mein Alles zu opfern. Wenn es für mich kein häusliches Glück, keine Ruhe und Zufriedenheit giebt, will ich wenigstens für etwas Edles siegen oder sterben und das umsomehr, als Sie schon von früher her wissen werden, wie ich stets für die hohe Idee des Vaterlandes begeistert war. Zu dem Zwecke machte ich auch Sie mit a verschiedenen Sachen bekannt um zunächst zu erfahren, wie Sie darüber urtheilen und welche Aussichten wir haben, ohne mich irgendwie sanguinischen Hoffnungen hinzugeben. Sonst geht es mir leidlich gut. Ich kann nicht klagen und auch nicht allzusehr loben.

Neuigkeiten giebt es hier in Messina keine. Die Stimmung hier ist trotz der faulen Verhältnisse über alle Erwartung gut. Das Volk wünscht größere Energie von Seiten der Regierung, die sehr matt und schwach zu sein scheint und das schon zu Zeiten Cavour’s. In Calabrien und im übrigen Neapel dagegen sind die Zustände höchst bedenklich, die Reaction scheint täglich zu wachsen und ich meinerseits, wenn ich anders gut unterrichtet bin, fange gelinde an zu zweifeln, daß Cialdini sein Werk in der angekündigten Frist von 3 Monaten wird beenden können. Das sind die Schattenseiten des Regementes der Herrn Grafen Cavour, dessen absoluter Anbeter ich durchaus nicht so bin, wie die große Masse. Es liegt auch etwas in Garibaldi und Mazzini, was man in Turin nur allzusehr über die Achsel empfohlen hat und das ist die Macht der Idee der Freiheit dem steifen Büreaucratismus gegenüber. Gott weiß, wie Alles werden wird.||

Ich zittere bei dem Gedanken, daß Italien durch den lähmenden Einfluß der Großmächte England und Frankreich sein schönes Werk der politischen Wiedergeburt zerstört werden können. Welch Triumph für unsere Reactionäre und Junker! Gott schütze Italien, Gott schütze Deutschland, das arme zerrissene und verblutete Opferlamm despotischer Gelüste und auch Sie alter, lieber Freund und Ihre liebe Braut, die ich herzlich zu grüßen bitte von Ihrem treuen Freunde

Dr. Bartels.

Schreiben Sie bald!

a gestr.: vr

Brief Metadaten

ID
8115
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Italien
Datierung
20.07.1861
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
21,3 x 26,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8115
Zitiervorlage
Bartels, Edmund von an Haeckel, Ernst; Messina; 20.07.1861; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8115