Edmund von Bartels an Ernst Haeckel, Messina, 27. November 1860

Messina den 27st Nov. 1860

Soeben, lieber Haeckel erhalte ich Ihren Brief, der eine tiefe, langtönende Saite in meinem Herzen angeschlagen und für den ich Ihnen nicht genug danken kann. Es war einmal wieder Balsam für meine zerrissene Brust, Ihr ruhiges, heiteres, vergnügtes Schreiben. Da sprach doch aus jeder Zeile Ihr herrliches, lauteres Gemüth, um das ich sie so beneide. Ich freue mich, daß Sie voran gehen und daß Ihre Lieblingsarbeit Förderung findet, daß man Ihnen Anerkennung zollt, und daß Ihre häuslichen Verhältniße glücklich sind und fühle mit Ihnen den Schmerz um den Verlust der lieben Freunde. Mit Freuden sehe ich, daß auch Sie des armen Vaterlandes erwähnen, deßen traurige Lage und Versunkenheit wie ein ewiger Krebs an meiner Seele nagt. Weh mir, daß ich jetzt hell sehe und die ganze Jammerwirthschaft, die ganze Trostlosigkeit klar erblicke! Könnt ich doch wie diese Esel von blinden Renommirern mein Straußenhaupt unter dena Flügel der Ignoranz und Verblendung stecken, die hier in Messina ihren philisterhaften Geifer auf den edelsten aller Helden, Garibaldi, und auf die brave Piemontesische Nation ergießen und noch stets in Österreicherthum und Philisterthum schwärmen. So sind unsere jungen Deutschen hier und danach können Sie die Größe meines socialen Umganges ermessen, den ich mit ihnen pflege. Die Alten, die Principale sind liberal und die Jugend, die Herren Cavours sind Reactionäre und Zöpfe. Sonderbare Ironie deutschen Nationalcharacters. Weil diese guten Leute sich ärgern, daß Italien und Garibaldi mit derber, rascher, entschlossener Handlung das vollbringen, was sie mit all’ ihrer Gelehrsamkeit deutscher Gründlichkeit von den Deutschen noch nicht einmal angebahnt sehen, deßhalb wenden sie sich in ihrem Gesinne gegen die italienische Sache, sympathisiren mit dem armen, betrogenen König Franz und nennen diejenigen Deutschen excentrische Köpfe, die nur im Entferntesten eine Analogie zwischen der deutschen und italienischen Frage sehen. Also, von Seiten der deutschen Jugend in Messina habe ich keinen geselligen Umgang zu erwarten, sondern mich vielmehr bloß in Acht zu nehmen, daß ich nicht gar in offenen Conflict mit diesen lieben Leuten gerathe. Der deutsche Gesangverein hat zwar am 31st October sein jähriges Stiftungsfest mit einem Dinner gefeiert hat aber seit Domenico und Übersiedelung nach Palermo sich zur kläglichsten Mittelmäßigkeit der Leistungen herabgesenkt. Mehr und mehr Glieder lassen sich als inactive aufnehmen, so daß schließlich nur noch Herr Gonsenbach und Klostermann übrig bleiben, die dann statutengemäß allmonatlich ihre öffentliche Production ablegen werden. Im Allgemeinen kommt es so, wie ich voraus gesehen habe. Im Frühjahr 1861 geht Zincke fort von hier und mit ihm die letzte Stütze des Tenors. Zur selbigen Zeit hoffe auch ich Messina verlaßen zu können.

Die Fremden sind so ziemlich Alle wieder hier, doch fehlt Madame Sarauw, die diesen Winter mit ihren Kindern in St Gallen geblieben ist, nachdem sie einen für ihren Mann sehr traurigen Sommer verlebt hat, da derselbe in seiner Heimath 1 Bruder, 1 Schwester und 1 Brudersohn nach einander hat am Typhus begraben sehen, und dazu noch die Mutter todtkrank an eben derselben Krankheit. Sie können sich vorstellen, wie mir und Madame Peters das Leben in Messina ohne Madame Sarauw vorkommen muß. Der alte Jäger hat seine Tochter Stolte in Neapel verloren, die Kaufleute im Allgemeinen sind nach ihren nahmhaften pecuniären Opfernb und den noch stets problematischen politischen Zeiten einigermaßen gedrückt und gesonnen diesen Winter öconomisch zu sein und so wird dieses gefürchtete Trimester höchst kläglich und einförmig sein, und das um so mehr, als Messina nie öder und einförmiger war, als jetzt. Die Messineser sind gedrückt, gedrückt, noch ohne Zutrauen, stets neue Gefahr witternd, die öffentlichen Verhältniße in möglichst großer Confusion, das Corruptionssystem womöglich noch stärker als zu Zeiten der Bourbonen, die Citadelle, die den Bürgern soviel Angst einjagt existirt nicht nur noch in den Händen der Bourbonen, sondern selbige completiren diese noch stets mehr und mehr durch neue Schanzanlagen. Wir haben zwar ein englisches und ein französisches Linienschiff im Hafen, allein trotzdem sind die Leute in steter Angst und es giebt noch jetzt viele Leute, die nicht wagen, in der Stadt zu wohnen. ||

Sie wünschen, lieber Haeckel zu wißen, wie ich dieses Jahr verbracht habe. Ich kann Sie versichern, daß ich nie in größerer Langeweile, in trägerem Hinbrüten in Kläglicherem Einerlei, in moralischer Abgestumpftheit gelebt habe, als diesen Sommer. Gefahren habe ich kaum zu überstehen gehabt, wenigstens nicht, daß ich wüßte. Ich hatte mir so viel versprochen von dem Erleben dieser Revolution, die doppeltes Interesse für mich hatte, da es sich nicht nur um die Befreiung eines geknechteten Volkes handelte, sondern ganz vorzüglich um die Durchfechtung, die Erkämpfung der Anerkennung eines der größten socialen Principien, des Princips der National- und Volkssouveränität. Das Recht der Legitimität der Volksansprüche in Bezug auf politische Angelegenheiten in Europa ist’s ja, was wir Alle so sehnlichst wünschen und ist nebenbei das einzige Mittel zur Regulirung des europäischen Gleichgewichts, das durch perfide, faule Diplomatie und Federfuchserei so arg verfahren ist.

Die Italiener, ja sogar die Sicilianer erkennen das recht gut, und mit tiefem Schmerz hat es mich erfüllt, daß diese ignoranten, bramarbasirenden Italiener unsern Landsleuten so unendlich überlegen sind an politisch-historischer Einsicht. Die Sicilianer haben sich (namentlich die Messinesen) haben sich bei dieser Revolution ganz erbärmlich gezeigt und auch noch jetzt fahren siec stets in gleicher ruhmloser Weise fort. Patriotismus, Opfersinn, Muth, Ehrlichkeit, Dankbarkeit, das sind Worte und Begriffe, die der Sicilianer nicht kennt und die Oberitaliener, die ich ganz unendlich lieb gewonnen habe sind von diesen fratelli ausgesogen und ausgeplündert worden. Im Übrigen haben sie vielen politischen Tact gezeigt und bis auf die letzte Zeit brav gehalten. Jetzt aber fängt es an zu spucken und Räuberfälle, Todschläge, reactionäre Bewegungen zeigen sich von Tag zu Tag mehr. Dabei noch stets die gleiche Furcht oder Rache, die allen Gerichtswandel lähmt, da keiner wagt, ein Urtheil zu fällen, keiner wagt seinen diebischen Mitbeamten anzugeben als [!] Furcht vor seinem Dolche. Dabei ist es höchst unerquicklich zu sehen, wie die ganze sicilianische Nation auch keinen einzigsten energischen und ehrlichen Mann hervorgebracht hat, der sich in die Regierungsverhältniße hineingelebt hätte. Crispi, der am Ende wohl Talent und Energie hat, hat gestohlen in empörender Weise und so wieder, alle seine Untergebenen. Dieses sind jedoch Alles Sachen, die unter uns bleiben, da ich der Sache nicht schaden möchte, 1) der Italiener wegen, die so Alles geopfert haben für ihr Vaterland 2) damit die Philister, die sich in Deutschland durch die italienischen Vorgänge bekehrt haben nicht etwa wieder kopfscheu werden und 3) weil es Sachen sind, die bei der Ihnen hinlänglich bekannten Versunkenheit der Sicilianer nicht anders kommen konnten. Wie es in Neapel aussieht, davon will ich Ihnen lieber ganz schweigen. Jedenfalls nicht alllzu schön. – Wir haben ein d Sprichwort welches sagt „Von Weitem macht Etwas sich sehr entfernt“. Nun ist die Distanz von Berlin nach Süditalien ziemlich weit und daher sehen Sie die Sachen sehr entfernt.

Trotz alledem wäre ich aber dennoch mit dem Garibaldi gegangen, wenn mich nicht die Vorahnung der sehr kurzen Dauer, sicilianische Intriguen, ein Anfall von sehr starkem Blutspeien bei furchtbarer Sommerhitze und den enormen Strapatzen und schreiend schlechten Verpflegung der Garibaldinischen Truppe, meine Ihnen bekannten Schulden bei der in Aussicht stehenden Bezahlung von 2 Franken per Tag, das gänzliche Aufgeben meiner hiesigen Stellung bei ganz und gar keiner Aussicht für die e Zukunft und das Abrathen meiner Ältern bewogen hätte, meinen Enthusiasmus für Garibaldi und seine Expedition in den Hintergrund zu drängen. Wer weiß, vielleicht zum Frühjahr in Ungarn um den österreichischen Aasvogel zu zerfleischen und von dort nach Deutschland.

Ein Sonnenblick in all diesem Elend war das Auffinden mehrerer vortrefflicher Landsleute in Garibaldi’s Armee, von denen Einer, in Messina stationirt bei mir wohnt, aber ganz besonders eine eminente Erscheinung, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die sich jemals kennen lernte, ein gewißer Remy, ein flüchtiger || Rheinpreuße aus dem Jahre 1808, gleich bedeutend an Geist und Character, geliebt, geehrt, auf den Händen getragen von allen seinen italienischen Cameraden, dabei ein grundgelehrter Kerl, ein wandelndes Lexicon, der schon vielfach in der Welt herumgekommen ist und zuletzt Lehrer der Mathematik und verschiedener Sprachen in einem großen Erziehungsinstitut in Verviers war. Auch ihn hatte ich krank (mit Dysenterie) während 14 Tagen auf meiner Bude. Im Allgemeinen bin ich stolz auf unsere Landsleute in der Garibaldinischen Armee, die ganz andere Kerle sind als diese Lumpen von englischen und ungrischen Industrieritter, den französischen Renommisten. Die Engländer namentlich sind durchgängig Spitzbuben, feine Londoner Hallunken und die Herren Ungarn trotz all’ ihrer Tapferkeit nehmen es auch nicht allzugenau mit dem Mein und Dein. Die Oberitaliener habe ich aber wahrhaft lieb gewonnen, namentlich die Lombarden, Venezianer, Modenesen und Toscaner. Es war ein wahrer Labsal für mich in jener Zeit so in reinem Italienisch schwelgen zu können. Kurz vor der Schlacht von Milazzo besuchte ich auf einer kleinen Fußtour Milazzo, Barcelona, Termini und Castro Reale. In Barcellona hatte ich reichliche Gelegenheit über sicilianische Freischaaren Studien machen zu können, deren etwa 500 Mann dort lagen und bei einem blinden Allarm dann auch alle in bester Unordnung mit furchtbarem Gerassel, bewaffnet wie die Hottentotten, bekleidet wie Marionetten, mit angstbleichen Gesichtern, schreiend, schießend zum Vorschein kamen und von denen dann schließlich ⅔ nachträglich bemerkten, daß sie ihre Patronen zu Hause gelassen hatten und demgemäß wieder umkehrten, so daß die Ausziehenden durch die umgekehrte Richtung dieser Rückkehrenden verwirrt f waren. Kurz eine Confusion sonder Gleichen. Fahnen gab es beinahe mehr als Soldaten –. Offiziere waren wohl ⅔ der Gesammtmasse. Mehr als diese Bilder der Feigheit, Verkommenheit und g prahlerischen Eitelkeit zog mich die herrliche Natur an, die in diesem Küstenstriche außer ihrer üppigen Fruchtbarkeit reich ist an schönen Landschaften und bevölkert von einer zum Theil bildschönen ländlichen Bewohnerschaft, die sich, von den Landstraßen entfernt ungemein liebenswürdig und gastfrei gegen mich benahmen. Dieses abschließende Bild sicilianischer Revolutionstruppen namentlich bewog mich, nicht in die Armee einzutreten. Die Truppen, die Garibaldi in Palermo aus dem dortigen Volke formirte haben zwar ein gut Theil Muth mehr gezeigt als jene Freiwillige in Barcellona (sämtlich Messineser), stehlen aber dafür wie die Raben, waren schmutzig, zerlumpt, mit Ungeziefer bedeckt, ohne allzuviel Disciplin, von englischen Officzieren commandirt, die mit zu den größten Schwindlern gehören, die ich jemals gesehen, so daß auch diese Corps wenig einladend waren und sobald ich meine Dienste anbot mußte ich auch mit riskiren, solchen Truppen zugetheilt zu werden, ohne mich dem entziehen zu können.

Die letzten Tage vor dem Einzuge waren hier schrecklich und mit genauer Noth nur sind wir zum 2tn Male dem Bombardement und der Plünderung entrannt. Da Alles flüchtete – und ich allein im leeren Hause ohne Eßwaren mich befand, Herbeischaffen derselben ganz unmöglich war, so ward auch ich trotz meines Widerwillens in den sauren Apfel biß, 1½ Tage auf der Österreichischen Corvette Dandolo zu bleiben, wo wir im Übrigen ausgezeichnet aufgenommen wurden.

Möller, Bühring und Jan entrannen mit genauer Noth dem Tode, da die Napolitaner bei ihrer Einschiffung vom Senatspalaste aus wohl 30 Flintenschüsse auf sie abschoßen und so nahe zwar, daß der brennende h Pfropf eines Schusses der Haushälterin Bühring’s das Kleid verbrannte. Die Ursache war ein entlaufener Affe, den die Gassenjungen verfolgten und so für angreifende Revolutionäre gehalten wurden. Ein Soldat schoß, die Andern folgten ihrem Bei||spiel und schoßen ebenfalls auf Alles, was ihnen in den Weg kam.

Beim Einzuge der wackern Garibaldiner war die Stadt noch halb verödet und die armen Soldaten waren ohne Obdach, ohne Essen, bis ein Zwangsedict die feigen Memmen zwang von ihren Campagnen herabzusteigen und die Soldaten in’s Quartier zu nehmen. Die armen Teufel rannten am 1st und 2t Tag noch bis nach Mitternacht umher, um Brod schreiend. Möller’s Hôtel war der einzige offene Gasthof. Keine Trattoria, keine Taverne, nichts war da, um die Soldaten zu verpflegen. Sie können sich dieses Leben in unserem Hause denken.

Jetzt von mir. Ich befinde mich seit meinem letzten Blutsturze ausnehmend wohl und bin sogar ziemlich stark geworden, habe keinen Husten mehr, esse mit Bärenappetit, vertrage auch mein Gläschen Wein recht gut und fühle mich, kurz gesagt, wie ein Fisch im Wasser. Ich möchte dasselbe von meinem Seelenzustande berichten können. Ich fühle mich hier stetig fremd, vereinsamt, lethargisch ohne genügende Beschäftigung noch geistige Anregung. Deßhalb spanne ich alle Segel auf, um mich baldmöglichst als [!] diesem Todtenlabyrinthe herauszuarbeiten, zurück nach Hause zu gehen, mich dort umzuschauen nach etwas Passendem umzuschauen und wenn ich dort nichts finde, wieder in die weite Welt hinaus zu steuern, stets mit dem ewig regen Hintergedanken, mich beim ersten Ruf des Vaterlandes einzustellen und auch meine schwachen Kräfte zum großen Werke anzubieten.

Die Sorge, der Kummer, ich möchte sagen die Zerknirschung um die sommerliche Energielosigkeit der Deutschen hat viel an meinem Herzen genagt. Die philisterhafte Verstocktheit der Deutschen, ihre renommirende und prahlende Franzosenfurcht, knechtischer Autoritätssinn und erbärmliche Zaghaftigkeit sind mir nie klarer geworden, als jetzt. Wenn nicht sehr bald etwas entschieden Liberales geschieht, so bekommen wir schließlich noch chinesische Zustände. Jedoch Geduld bis zum Frühjahr. Die Politik Preußens ist mir ganz kläglich. Noch keine Amnestie, noch kein offener Bruch mit den Lumpen von Junkern, noch immer keine – vernünftigen Wahlgesetze –, noch immer kein entschiedenes Hingeben und Vertrauen zum Volk, dagegen eine entschieden antiunitarische Bundespolitik, Verstoßung der deutschen Huldigungen – kurz Alles beim Alten nur schönere Worte. Wann kommt die That? O, Loreley –

Ihre Grüße sind sämmtlich bestellt, dankend entgegen genommen, herzlich erwiedert. Doch am Meisten grüßt Sie Ihr treuer Freund und wahrhafter Verehrer Bartels und bitte ich Ihrer lieben kleinen Braut die Grüße dieses Bauern in Doctorgestalt zu erwiedern die sie so gütig war, mir durch Sie zu übersenden. Auch Ihre Ältern bitte ich zu grüßen. Auch Ihren Allmers bitte ich zu grüßen.

a korr. aus: dem; b eingef.: Opfern; c korr. aus: solche; d gestr.: sch; e gestr.: Zuknf; f gestr.: kamen; g gestr.: prahlen; h gestr.: Pfrpf

Brief Metadaten

ID
8113
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich beider Sizilien
Datierung
27.11.1860
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
20,5 x 27,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8113
Zitiervorlage
Bartels, Edmund von an Haeckel, Ernst; Messina; 27.11.1860; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_8113