Bartels, Fritz

Fritz Bartels an Ernst Haeckel, Magdeburg, 27. Mai 1912

Magdeburg, d. 27. Mai 1912.

Sehr geehrter Herr Professor!

Es wird Sie vielleicht interessieren, daß die von Ihnen vertretenen Ideen auch in die Schule eindringen. Die Oberklassen unserer Oberrealschule haben wöchentlich eine Biologiestunde. In diesem Jahre wurde uns nun in der UI folgende Einführung geboten. Zunächst wurde der Stammbaum der Lebewesen als selbstverständlich angenommen (N.B. mit dem biogenetischen Grundgesetz arbeiteten wir schon in der VI). Der Neovitalismus wurde abgetan, da nur chemische und physikalische Prozesse in den Lebewesen stattfinden. Schließlich wurde für die Protisten die Urzeugung als „unentbehrliche Arbeitshypothese“ hingestellt „ohne die die Naturwissenschaft nicht mehr auskommen kann“ und man machte das Zugeständnis, daß „die Bibel in ihren Anschauungen auch schon veraltet wäre“ (!!!).

Diese herzerquickenden Wahrheiten trug uns Herr Dr. Popofsky vor. Spaßig ist nur, daß wir gleich in der folgenden Stunde (es war nachmittags) || Religionsunterricht haben. Hierbei benutzten wir ein Hilfsbuch von Marx und Teuter. In dem nach der Meinung unseres Oberlehrers „unparteiischen und auf den neuesten Forschungen beruhenden“ Werke finden sich folgende ganz köstliche Stellen: „Solche Theorien wie die von der Urzeugung (generatio aequivoca) sind doch nichts anderes als Verlegenheitsauskünfte, leere Worte, bei denen sich niemand etwas denken kann“ und „Der Darwinismus als naturwissenschaftliches Forschungsprinzip darf nicht mit dem Materialismus“ (hierunter versteht er dena MonismusII) „als einer alles Geschehen, auch das Geistige, aus der Materie ableitenden pseudophilosophischen Weltanschauung verwechselt werden. Diesen Materialismus haben fast alle großen Naturforscher der Neuzeit abgelehnt. Aber auch die eigentümlich darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein als der ausschlaggebenden Kraft der Entwicklung ist von den heutigen Naturforschern immer mehr als eine große Übertreibung, wenn nicht als Irrtum, erkannt und von vielen aufgegeben worden. || Geblieben ist die große Hypothese einer einheitlichen Entwickelung, und diese harmoniert aufs beste mit dem recht verstandenen christlichen Schöpfungs- und Vorsehungsglauben.“ Bei einer (sogenannten „Kritik“) des Monismus findet sich eine Stelle aus den „Welträtseln“ b (Kap. 17) wörtlich abgedruckt als „Unsinn“: „Von den vier kanonischen Evangelien wissen wir jetzt …“ bis „und wurden nun mehr zu echten Grundlagen der christlichen Glaubenslehre.“ Es wäre mir sehr wünschenswert, die Quelle kennen zu lernen, (ev. Preis und Verlag) aus der diese Stelle entnommen ist.

Im Voraus besten Dank

für den Bescheid

Hochachtungsvoll

Fritz Bartels

Magdeburg

Neustädterstr. 29/30.

a eingef.: den; b gestr.: wo

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
27.05.1912
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8112
ID
8112