Florenz, d. 15. Mai 1915.
Hochgeschätzter und lieber Herr Professor
Es sind wahrscheinlich die letzten Postzüge nach Deutschland und ich bin froh, dass ich sie noch benutzen kann, um Ihnen diese Zeilen abzusenden. Zu meinem Bedauern habe ich es nicht früher thun können, weil ich längere Zeit hindurch bettlägerig gewesen bin und erst heute mein Krankenlager verlassen durfte.
Dass ich und meine Frau den aufrichtigsten Antheil an dem grossen Verlust nehmen, den Sie durch den Tod Ihrer treuen Lebensgefährtin erlitten haben, brauche ich Ihnen gewiss nicht zu versichern. Ihr Kummer hat auf mich einen äusserst schmerzlichen Eindruck gemacht. Ich muss oft an Sie denken und stets mit der selben Liebe, Ergebenheit und || Dankbarkeit. Leider häufen sich in diesem Jahre Unglück auf Unglück, Trauer auf Trauer dermassen an, dass Muth und Widerstand sinken und versagen und Beruhigung und Trost schwinden. Und dennoch, dennoch wünsche ich Ihnen, mein unvergesslicher, mein theurer Herr Professor, Trost in Ihrer geistigen Arbeit. Und vor allem Gesundheit!
Uns geht es sehr schlecht: ich leide an der Arterienverkalkung, meine Frau kränkelt und obendrein … die Beschlagnahme meiner Werthpapiere in Berlin! Meine Bittschrift an den Reichskanzler hat insofern meine Lage erleichtert als die Deutsche Bank aufgefordert worden ist, mir einen Vorschuss bis M. 5000 „zum Lebensunterhalt“ anzubieten. Aber das Endresultat dieser Massnahmen ist unabsehbar und meinen physischen Leiden gesellen sich die moralischen hinzu. Leben Sie wohl hochverehrter und theurer Herr Professor. Ich küsse Ihnen die Hände und || meine Frau sendet Ihnen ihre herzlichsten Grüsse.
Ewig Ihr
Sie aufrichtig liebender und treuergebenster
Dr. J. v. Bedriaga.