Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Würzburg, 23. März 1858
Würzburg, 23. März 58.
Mein lieber Freund!
Fast wird es einer Entschuldigung wegen meines langen Schweigens bedürfen, um Dich zu versöhnen, indess hast Du am Ende andere Plage genug gehabt, um die meinige nicht mehr zu bedürfen. Mit grosser Freude habe ich vernommen, dass Du mit dem Schwindel fertig bist und gratulire bestens; das unangenehme Intermezzo der Varioloiden wird jetzt wol keine weitere Bedenklichkeiten hinterlassen haben. Virchow schreibt mir neulich ferner, dass Du über Deine Zukunft noch etwas im Unklaren seist und ich glaube das gerne, denn selbst abgesehen von unbewohnten Südseeinseln gelingt es oft nur einem glücklichen Augenblick, unseren Weg in bestimmtere Richtung zu bringen. Ich bin recht neugierig über Deine Pläne zu hören, wenn ich auch meine Vermuthungen habe und am Ende im Voraus wissen könnte, wohinaus es gehen wird. Diese Gewißheit habe ich leider bei mir noch nicht erreicht, aber bereits eine gehörige Dosis Geduld, die auch zu etwas werth ist. Wie Du weißt, verläßt uns Friedreich, was mir begreiflich nicht angenehm ist; es scheint jetzt ein Zustand der Anarchie in der pathologischen Anstalt eintreten zu sollen, wenigstens hört und sieht man nichts weiter als dass Heinrich Müller vorgeschlagen ist. Ich will erst eine Entscheidung abwarten d.h. die welche die Abreise Friedreichsa mit sich bringen muss und hoffe dann ein wenig nach Bonn resp. Poppelsdorf zum Blasius und seinem jungen Weibe zu spritzen und mich dort etwas neu zu beleben. Meinen ursprünglichen Plan über Berlin nach Hause zu reisen habe ich aus mehrfachen Gründen aufgegeben und um doch etwas herauszukommen, folge ich gerne den Wünschen des alten Freundes, zu dem mich alte Freundschaft vor Allem, vielleicht aber auch zartes Interesse eine uncultivirte Seite meines Daseins etwas anzubauen treibt. ||
Hier bei uns ereignet sich so wenig, dass ich abgesehen von meinen Studien Dir kaum etwas mitzutheilen wüßte, so lange auch die Zeit ist, seit ich Dir nicht geschrieben. Der Lebenswandel hat sich wenig geändert, ich habe still gearbeitet freilich nicht immer Sachen, die mir ganz zugesagt haben, bin auf Bälle gegangen, habe meinen physiologischen Curs gehalten, kaum gekneipt und häufig ein ernstes Gesicht geschnitten. Es ist recht leer hier, wenn ich so sagen soll dh. es fehlt an frischer lebendiger Luft, die unbedenklich um allerhand Rücksichten die trägen Massen in Bewegung setzt; jeder sitzt für sich weg und sucht, dass er etwas finde und sie fürchten sich wo möglich, dass sie sich vor einander blamiren. Dazu kommt noch die unselige Stellung in der Fakultät mit alten Kindereien und Lumpereien, um Einem die ganze Geschichte förmlich widerlich erscheinen zu lassen. Uebrigens ich will Dich nicht mit diesem Zeug belästigen, sondern zunächst in unseren Freundeskreis zurückgehen und Dir wenigstens von Boner etwas mittheilen, da Du von den anderen mehr wissen wirst als ich. Der Splügener Chefarzt befindet sich in seinen eisigen Bergen ziemlich wohl und schreibt mit einer solchen Ruhe und Unbefangenheit, dass ich mich recht gefreut habe; ihm wird nun den nächsten September die Genugthuung aus seinem Winterquartier herauszukommen ins Prättigau und zwar nach Klosters, wohin er seine alten Freunde einlädt. Ich werde ihm rathen, sich ein Weib zu nehmen, dann wird seine Hypochondrie hoffentlich ganz schwinden. Lachmann hat wieder Glück gehabt, wie Du weißt, ausserdem schreibt er von seinem Leben sehr fidel, die Cultivirung seiner liebenswürdigen Frau lässt ihm keine Zeit zum Correspondiren. Dass Du jetzt recht vergnügt bist und mit wahrer Wollust Deine Lieblingsstudien wieder aufnimmst, ist mir von selbst klar, die Zeit gehört auch || zu den schönen des Lebens. Gegenbaur ist wieder hier und erzählte mir, dass er Dir eine Abhandlung zugesandt habe (über Limulus), dieselbe aber unverrichteter Sache zurückgekommen sei. Was meine Arbeiten betrifft, so habe ich wenig kaumb Neues zu erzählen, da meine Nierenstudien bereits zu sehr ins Einzelne und zum Theil ins Massenhafte gehen, um sie kurz zu geben und sonst es meine Weise nicht ist und hoffentlich nicht werden wird, auf Neuigkeiten Jagd zu machen. Ich habe etwas Thymus studirt, bin aber bei der ungeheuren Schwierigkeit des Objectes resp. dem Mangel einer geeigneten Behandlungsmethode nicht über einen bestimmten Standpunkt hinausgekommen; grade das Wichtigste, in welcher Beziehung die sog. Kerne resp. Zellen dieses Organs zu dem Bindegewebsnetz, das Alles durchzieht, stehen, entzieht sich immer wieder dem Blick. Ueber Nierengeschwülste habe ich allerhand Studien gemacht und Einiges von Interesse gefunden, doch wünsche ich jetzt noch weiter zu kommen, um die Entwicklung im Detail geben zu können. Zu guter Stunde wird dann auch etwas zum Vorschein kommen. Dass der arme Bezold so krank ist, thut mir recht leid, ich bitte ihn bestens zu grüssen und ihm meine Theilnahme zu bezeugen; es ist nur gut, dass er nicht ohne Freunde und Bekannte ist. Bei uns scheint jetzt endlich der Frühling mit Macht zu kommen, der Schnee ist weg und schon schwellen die Knospen; reichlich wollen die gelbgrauen Wogen des Mains durch die Brückenbogen und in freundlicher Bläue scheinen Berg und Thal. Du solltest bei Gelegenheit einen kleinen Abstecher hierher machen und Dich von Deinen Strapatzen bei edlem Weine und dem Frühlingskosen erholen. Neulich Sonntag habe ich wieder einmal eine Abschiedskneiperei mitgemacht und war zum Glück der einzig Nüchterne in der Gesellschaft; ein kleiner Kreis, aus meinen Schülern fast gebildet, war beisammen und mehre Bowlen wurden vertilgt, massenweise Reden gehalten und relativ fidel gewesen. ||
Es ist mir immer ein eignes Gefühl in solchen Kreisen, das mich kaum ganz verläßt, nämlich ich möchte sagen, der Unbefriedigtheit. Ich gehöre denselben immer nur zur Hälfte an und kann es nicht gut anders, wie leicht ersichtlich und doch ist es mir unangenehm, nicht anders erscheinen zu können besonders gegenüber der Offenheit Mancher. Aber die alten Zeiten sind vorbei und immer näher rückt der ganze Ernst des Lebens mit häuslichem Herd, Weib usw. usw., Abgeschlossenheit, Kälte, stillem Glück und was man sich sonst erzählt. Allerdings betrachte ich dies Alles noch mit äusserst ironischem Blicke aus der Vogelperspective, aber in diesem Nest, das so leer ist von allen weitern menschlichen Bestrebungen als etwa den rein wissenschaftlichen, wird man vielleicht manchen Leichtsinns fähig. Du wirst es mir endlich verzeihen, wenn ich mir erlaube, diesem Briefe einen Abdruck von meiner Gesichtsbildung beizulegen, einmal weil ich Dir Revange schuldig bin und dann weil ich durch vielfache Quälereien meiner hiesigen Bekannten dazu gebracht bin, mich dem recipirenden Glase des Photographen auszusetzen, was eben nicht zu den Amusements gehört. Da ich einen Besuch bei Dir in diesen Ferien jetzt nicht ausführen werde, so magst Du mich in effigie irgendwo aufhängen aus Rache. Wenn Du Virchow’s Archiv liest, so findest Du in dem letzten Heft einen kleinen Fall von „Lymphoid“ von mir darin; wo nicht, werde ich mir erlauben, Dir ihn, sobald ich Separatabdrücke habe, zu senden.
Uebrigens ist es Zeit zu schliessen, um so mehr als ich fürchte, sehr langweilig zu sein. Schreibe mir bald wieder, da Deine Zeit es erlaubt und behalte mich in freundlichem Andenken.
Dein Beckmann.
a gestr.: Virchow’s, eingef.: Friedrichs; b eingef.: kaum