Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Würzburg, 24. Oktober 1857

Würzburg d. 24. Octob. 57.

Mein theurer Freund!

Ich kann unmöglich den Bezold nach Berlin reisen lassen, ohne ihm einige Zeilen an Dich mitzugeben, trotzdem meine Zeit ein wenig beschränkt. Ich bin Dir ausserordentlich verpflichtet für die Batterien von Kassenscheinen, die Dein freundlicher Sinn mir zugewendet, wobei ich indess als gewiss voraussetze, dass Du Dir dadurch in keiner Weise Beschränkungen auferlegst; nimm’ einstweilen meinen herzlichsten Dank, das Weitere überlassen wir wol der Zukunft. Von unserem Leben d. h. dem äussern Departement, wird Dir der Bezold erzählen können, vorausgesetzt dass sich viel davon berichten läßt; was mein sonstiges Dasein betrifft, so ist meine Gesundheit beinahe befriedigend aber sie leistet nicht so viel als ich von ihr fordern möchte und müßte, wird sich indess entwickeln, wenn ich mich bemühe unter Deiner Anleitung etwas liederlich zu werden. Meine geistige Thätigkeit ist einstweilen durch eine Reihe mechanischer Arbeit in Betreff Canstatt’s Jahresbericht vermindert, aber ich habe allerhand im Hintergrunde. Meine Nierenstudien habe ich allmälig wieder aufgenommen und denke ich sie im Winter dadurch zu beleben, dass ich über das Thema eine Vorlesung halte, jedenfalls das beste Mittel, um sich selbst über sie Klarheit und Bedeutung der eigenen Anschauungen zu unterrichten. Ob die Sache zu Stande kommen wird, ist eine andere Frage. Zu einer andren Zeit schreibe ich Dir einmal etwas mehr über die Punkte, an denen ich jetzt besonders arbeite. Mehr werde ich schwerlich lesen, da ich ausserdem Arbeit genug für den Winter habe und auch kein rentables Gebiet sonst anliegt. Müller hat die Histologie jetzt auf sich genommen und von den zoologischen Gebieten bin ich selbst immer weiter zurückgewichen, um sie noch viel cultiviren zu können. Ich freue mich nur, dass ich an Canstatt’s Jahresbericht soviel verdiene, um wenigstens die Collegien nicht als eine durchaus nothwendige Erwerbsquelle betrachten zu müssen. ||

Deine Klagen über einzelne ungemüthliche Gegenden Deiner Existenz steht meine ganze Theilnahme zur Seite; dass grade dieses Lebensstadium, das Du jetzt durchzumachen Dich bemühst, nichts Gemüthliches hat, ist klar; aber je weiter man hinauskommt in das Leben, je mehr man selbstständig einhergehen muss, um so enger ziehen sich die Bande; man kann schon von Glück sagen, wenn man nur anderswo liebe Freunde besitzt, zu denen man sich in guten und trüben Stunden gern wendet; man fühlt die ganze Grösse aber auch den bittern Gegensatz der menschlichen Selbstständigkeit, letztere zum Glück mehr. Diese Einsamkeit ist ein Hauptgrund, warum sich die jungen Leute so gerne verloben, resp. verheirathen, wenigstens hier habe ich diese naive Betrachtung wiederholt anstellen hören: ‚da bleibt Einem nichts übrig als sich ein Weib zu nehmen‘. Letzteres bringt mich selbstverständlich auf den alten Blasius, von dem ich neulich einen aphoristischen Brief aus Coblenz hatte, mit den nöthigsten Notizen über seine letzten Lebensereignisse. Natürlich habe ich mich sehr gefreut über seine Heirath, um so mehr als ich gar nicht mehr an eine so baldige Ausführung dachte und ich konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken als er mir schrieb, dass er eine Zeit der höchsten Aufregung durchgemacht habe. Ich möchte den alten Jungen oder besser den jungen Alten in seiner Eheherrlichkeit gerne einmal sehen, natürlich vor Allem unsere kleine Schwägerin oder wie man sie sonst nennen mag, die mir stets so freundliche Grüsse schickt, dass ich schon jetzt von ihrer Liebenswürdigkeit ganz überzogen bin. Von den übrigen Freunden verlautet nichts; wo Boner steckt, wissen die Götter. Von Reinold Hein wirst Du wol durch den Bruder, dem ich meinen besten Glückwunsch sende, erfahren; ich bin etwas besorgt wegen der verdammten Cholera. Wegen der Staatsexamen lass’ Dir nur keine grauen Haare wachsen; ein wenig Schwindel ist ja bei all den Sachen und darum lass’ doch die verschiedenen abdominellen und andern Geschwüre mit verschiedener dyskratischer Könner-||schaft nicht weiter angreifen. Wenn ich das Staatsexamen hier nur machen könnte, ich gäbe etwas drum.

Übrigens ist meine Zeit sehr knapp. Drum nimm diese Zeilen wie sie sind, nächstens denke ich etwas mehr leisten zu können. In Dankbarkeit und aller Freundschaft

Dein Beckmann.

Grüsse von Wilhelm Hein und den Blöden bestens.

Brief Metadaten

ID
7824
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
24.10.1857
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7824
Zitiervorlage
Beckmann, Otto an Haeckel, Ernst; Würzburg; 24.10.1857; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7824