Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Würzburg, 24. September 1857

Würzburg d. 24. Sept 57.

Mein lieber Freund!

Es ist lange her seit Du von mir Nachricht erhalten und fast muss ich mich schämen, dass ich auf Deinen lieben herzlichen Brief nicht schon früher geantwortet habe.

Vor allem nimm meinen besten Dank für die liebevolle Theilnahme, die Du mir geschenkt, um so mehr als Du zugleich in so werthvoller Weise mich zu unterstützen geruht hast. Ich will es nicht untersuchen, ob es von Dir Recht gewesen, Dich meinetwegen zu solch’ einer Leistung zu bestimmen, aber so viel ist gewiss, dass ich Deine Liebe aus vollem Herzen anerkenne und Dir bestens danke und leider sind meine Finanzen nicht einmal ganz den gewöhnlichen Forderungen des Lebens gewachsen, geschweige denn noch extraordinären, wie sie ein kranker Zustand mit sich bringt. So hat nicht allein Deine freundliche Theilnahme sondern auch eine reiche Hand mir wesentlich aufgeholfen und ich denke, hier wäre die Lösung des Dualismus zwischen dem Ideellen und Wirklichen gegeben. Leider wird es nicht dahin kommen, dass ich selbst Dir meinen Dank aussprechen kann, so gerne ich auch den Staub Würzburgs, der nach und nach schwer auf mir lastet, einmal abschüttelte und mich in den heimischen lieben Gauen mit neuem Lebensmuthe erfüllte. Zum Glück bin ich so weit wieder hergestellt, um einigermassen leistungsfähig zu sein, wenn ich auch noch nicht ganz zufrieden bin und vielleicht eine geringre Resistenz gegen äussere Einflüsse auf längere Zeiten behalten werde. Übrigens kann uns das kaum wundern, da die Geschichte ausgedehnt genug gewesen ist. Der Aufenthalt in Streitberg, wo mich Dein lieber Brief traf, hat mich wesentlich gefördert; ein wenig Gebirgsluft, ein liebliches Thal || mit Feld und Wald erquicken schon einen Gesunden; dazu kam noch ein Besuch von meinem lieben Passow und ein erträglicher Menschenschlag als Badegesellschaft, freilich getrübt durch einige sehr umfangreiche Damen, so dass ich jetzt ganz vergnüglich an die Bummelei denke. Seit der Zeit bin ich wieder hier und lebe ganz in gewohnter Ferienmanier; ich habe nämlich wieder die Verwaltung der pathologischen Anstalt übernommen und erfreue mich einmal wieder des ganzen Genusses der Cadaver, habe auch wirklich recht nette Fälle secirt. Doch davon ein ander mal mehr. Daneben habe ich eine andere etwasa zeitraubende Beschäftigung, die ich wesentlich der Güte Virchows verdanke, nämlich einen Theil der Redactionsarbeiten für Canstatts Jahresbericht. Die Sache bringt mir etwas ein und gibt mir eine ziemliche Literaturkenntniss, hat auch sonst ihre guten Seiten, wie Du bemerken wirst, so dass ich mit Freuden in das Anerbieten gewilligt habe. So ist mir unter reichlicher freilich nicht angreifender Thätigkeit die Zeit vergangen und bald wird das Semester wieder seinen alten Kreislauf beginnen. Leider habe ich keine besonders erregenden Aussichten für den Winter; mein Umgang wird immer geringer, was Dir, der Du die hiesigen Verhältnisse kennst, erklärlich sein wird, ich lerne für mich und sehne mich nach frischem Leben, wohl auch zwischendurch nach einer kräftigen körperlichen Erschütterung. Dir steht ja auch für den Winter keine sonderliche Annehmlichkeit bevor, indess ist der Hintergrund um so wärmer und die Quallen um so näher, während hier Alles umgekehrt ist. Ich habe mich recht gefreut b über die Metamorphosen, von denen Du so begeistert schreibst und ich weiss von mir, welch’ ein Gefühl uns durchzittert bei diesen kleinen aber bedeutungsvollen Revolutionen.

Freilich thust Du mir viel Ehre an, wenn Du Dich || meiner dabei erinnerst oder gar von mir Lösungen von allerhand Räthseln erwartest; es war ja am Ende nichts weiter als dass ich zum Theil damals Ansichten besass, zu denen Du jetzt gelangt bist, ein anderer an meiner Stelle hätte dasselbe geleistet. Und dann sind es doch nur die Thatsachen der Wissenschaft, die bei Dir durchgeschlagen haben und es mußten, wie ich gewiss voraus gedacht habe. Heute bin ich nicht in der Lage mich weiter hierauf einzulassen, hoffentlich besprechen wir einmal in Musse diese Angelegenheiten oder wenn Du magst, nach und nach brieflich, obgleich der Weg mühselig genug. Einstweilen wird Dich noch mehr die Erinnerung an Deine Reise fesseln, die gewiss reizend genug gewesen ist und an die ich genug gedacht habe, wenn hier die heissen Strassen den Müden aufgenommen haben. Der Sommer muss Dir doch unendlich lieb in der Erinnerung sein und denke ich, er wärmt auch noch im Winter und weiter nach. Wie geht es denn dem trefflichen Claparède? Solch ein Leiden ist wirklich traurig und nun noch bei dem hoffnungsvollen jungen Manne. Von unserm guten Blasius weiss ich nicht Genaueres, nicht ob er verheirathet oder nicht, nicht wo er ist, nicht was er treibt. Passow hatte ihn in Bonn gesehen und machte mir keine sehr freundliche Schilderung von dem Aussehen des jungen Professors; er meinte, Blasius mache sich recht viel unnütze Sorgen und fast kommt es auch mir so vor. Die Correspondenz mit den Freunden wird nach und nach wie es scheint, immer spärlicher, man muss schon etwas nachschüren, wie es scheint. Vom Hein hatte ich während meiner Krankheit einen Brief, seitdem schweigt er wahrscheinlich weil er zu viel Arbeit hat oder sich macht. Die Cholera wird doch nicht in Danzig sein. Von Boner schweigen Alle, nach seinem letzten Brief wollte er seine Stelle aufgeben; wohin er dann gehen wird, nescio.

Es wird Dir lieb sein, dass der Peter noch ein wenig || in Berlin bleibt, grüsse ihn, wenn Du ihn siehst, recht schön und ermuntre ihn zum Schreiben oder schicke mir seine Adresse ebenso wie Deine. Virchow wird von einigen seiner Verehrer hier erwartet; ob er kommt, ? – Ich glaubte ihn in Bonn, doch finde ich seinen Namen nirgends erwähnt und muss so wolc eine Freude entbehren, die Einem nicht alle Tage kommt. Von hier ist eine ganze Reihe Gelehrter nach Bonn; Müller, Scherer, Friedreich, Schwarzenbeck pp. bevölkern die Rheinlande und geniessen mit den Genossen. Kölliker ist auf der schottischen Insel, die er mit Carpenter heimsuchen wollte und wird wahrscheinlich die Welt mit vielen Entdeckungen bevölkern. Deine beiden Dissertationen wirst Du erhalten haben, ich konnte sie nicht früher senden, da ich nicht hier war. Die Würzburger hoffen auf ein gutes Weinjahr und irgend ein gelehrtes Wurstblatt entwickelt bereits, dass 1857 sich aus 1846 und 1811 zusammensetze und der Wein somit seiner Güte nach zwischen beide gesammten Jahrgänge fallen werde. Unkraut vergeht nicht.

Sonst leistet natürlich unsere edle Stadt nichts Besonderes, Alles zieht sich nach und nach etwas herbstlicher an, sieht aber dabei ebenso langweilig aus wie vorher. Studenten sind natürlich spärlich, werden es auch vielleicht bleiben, mässige Fälle von Sectionen. Für Deine Mittheilungen wissenschaftlicher Natur bin ich sehr dankbar, heute lassen wir es dabei bewenden. Es ist spät, mein Geist müde, wie Du bemerken wirst, müder noch der Körper, wenn man so sagen darf. Erfreue mich nächstens durch einige Zeilen und nimm nochmals meinen wärmsten Dank. In alter Freundschaft

Dein Kleiner.

a gestr.: recht; eingef.: etwas; b gestr: ,; c eingef.: wol

Brief Metadaten

ID
7823
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
24.09.1857
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,5 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7823
Zitiervorlage
Beckmann, Otto an Haeckel, Ernst; Würzburg; 24.09.1857; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7823