Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Würzburg, 17. Juli 1857

Würzburg d. 17. Juli 57.

Mein theurer Freund!

Gerne erfülle ich Dir Deinen Wunsch, Dir noch vor Deiner Abreise von Wien einige Nachricht von mir zukommen zu lassen, obgleich ich leider nicht allzu frohe Kunde bringen kann. Zunächst meinen Dank für Deinen lieben Brief, der in seiner Vollständigkeit wie durch die Frische vollen Lebens mich sehr erfreut hat und an dem ich nur die hie und da hervorquellenden Ausbrüche der Zuneigung zu mir weniger gerne gesehen habe, nicht weil mich ein solches Liebeszeichen nicht erfreute, sondern nur weil ich den Grund dafür nicht in mir finden kann, wenigstens nicht in Eigenschaften, die wenn man so sagen kann, meiner Willkür unterworfen sind. Uebrigens sprechen wir darüber ein andermal, heute darf ich nicht viel sagen und darum zu etwas anderem. Dass Dir Dein Aufenthalt in Wien trotz der mancherlei Erbärmlichkeiten und Barbarismen, die Du mittheilst, angenehm und fördernd war, sehe ich hinreichend und freue mich darüber; wie gerne theile ich Deinen Wunsch, an allen den Herrlichkeiten der Wissenschaft wie der fröhlichen Bummelei haben theilnehmen zu können, um so mehr als mein Leben hier mir das grade Gegentheil von dem allen gezeigt hat. Nicht unbewußt strebe ich nach einer gewissen Vielseitigkeit und um so schmerzlicher berührt mich eine Isolirung, in der man ganz auf sich selbst und auf die geringen Ressourcen seines eignen Daseins angewiesen ist. Wie gerne würde ich Deine Studien in der Physiologie unter der vielleicht trefflichsten Leitung in Deutschland getheilt haben! Nun, Du wirst mir bei Gelegenheit etwas abgeben können. Was sonst Dein Bericht von Wien erzählt, || hat mich selbstverständlich sehr interessirt, zugleich bestätigt derselbe das Urtheil, was verständige Leute lange von den Wiener Leistungen sich gebildet hatten; man wird darum besser sagen, dass man nach Wien gehe, um zu lernen, wie man nicht handeln solle. Man muss doch am Ende mit solchen Gedanken das tiefe Bedauern unterdrücken, das man empfindet über den Missbrauch und mehr noch über den Nichtgebrauch solches Materials. Dass Dir Hebra so gefallen, hat mich etwas gewundert, weil ich von Andren gehört, er sei einer der inhumansten und arrogantesten Burschen und seine Originalität beruhe mehr in einer gewaltigen Frechheit den Leistungen Anderer gegenüber, von denen er keine Notiz nehme und überhaupt nichts wisse. Prof. Friedreich hat mir neulich noch dasselbe wiederholt, wie die Sprache darauf kam und zwar mit ganz andren Worten. Deine Erzählungen von der path.-anatom. Anstalt sind ja wahrhaft schaudererregend. Ich habe sogleich Montag den netten Bericht an Deinen verehrten Vater gesandt, für den die Sache aber wol etwas zu gelehrt. Deine göttlichen Spitzen haben mir das Herz ganz gross gemacht, trotzdem meine jetzige Lage wenig geeignet zu weitern Bestrebungen ist. Denn ich liege als Reconvalenscent von einer linksseitigen Pleuritis nebst gelinden Pericarditis auf meinem Bette und von diesem aus erfolgt auch diese Leistung, da ich Dich nicht warten lassen will. Ich bin jetzt im Ganzen wiederhergestellt und werde heute zum ersten Male aufstehen, um meine || untern Extremitäten wieder etwas an geregelte Thätigkeit zu gewöhnen. Krank seit fast 6 Wochen, im Bette fast 4 kannst Du Dir denken, war diese Zeit keine wonnevolle für mich, obgleich ich sehr bald mich gewöhnt habe. Zum Glück konnte ich die größte Zeit wenigstens leichtere Sachen lesen und habe allerhand geschichtliche Studien gemacht, die mir sehr wohlgethan haben und mich einigermassen versöhnlich stimmen. Meine medicinischen Arbeiten sind natürlich ganz unterbrochen, ich hatte noch einige Operationen an Thieren mit Arterienunterbindung gemacht, um den Harn dabei zu studiren; auch wie es scheint, aus dem Leucin eine Säure fabrizirt, die mit Bernstein- oder Benzoësäure, die meiste Ähnlichkeit, Alles unterbrochen und einstweilen nicht wieder aufzunehmen. Wenn ich wieder so weit hergestellt, soll ich auf Wunsch von Prof. Friedreich, der mich mit ebenso viel Sorgfalt als Freundlichkeit behandelt hat und meine Kräfte durch Uebersendung vortrefflicher Nahrung wesentlich erhalten, nach Streitberg wenigstens auf kurze Zeit, um mich in der Landluft zu stärken. Was nachher geschieht, weiss ich noch nicht, vielleicht gehe ich noch in die Heimath, vielleicht bleibe ich auch hier oder suche ein südliches Gebirg d. h. wenn Geld da ist. Meine Abhandlung betreffend, so bin ich für Dein freundliches Urtheil sehr verbunden, bedaure aber, dass Du so sehr mit einiger Kritik zurückhältst. Das, was Du hervorhebst an der Form, ist gewiss sehr richtig und werde ich mich in der Folge mehr hüten, aber es ging bei mir nicht anders, ich mußte diese Klippe erst durch die Praxis genauer kennen lernen; übrigens gibt es Leute genug, die auch zwischen den Zeilen zu lesen verstehen und für die schreibt man ja doch eigentlich. Zudem dämpfte mich das Volumen der Abhandlung, das ich nicht unnütz vermehren wollte. || Vielleicht gibt uns die Zeit Gelegenheit, alle die Sachen einmal etwas ausgedehnter, gemüthlicher und mit Abbildungen versehen, den Mitbürgern vorzulegen. Wann wird uns das Glück, Deinen Krebs in Müllers Archiv zu sehen? Ich freue mich recht darauf, da doch das Latein einem den rechten Genuss stört und noch Manches hinzukommen wird, nicht wahr? – In Betreff der Dissertationen zu bemerken, dass ich noch 2 habe, die ich aus Nachlässigkeit nicht abgegeben habe, mehr aber aus zufälligen Hindernissen, da ich mit den Leuten, denen sie bestimmt sind, nicht recht zusammenkomme und – kommen mag; es sind die Exemplare an Gerhardt u. Bamberger. Sie stehen zu Deiner Disposition; wo nicht, gebe ich sie ab, ein wenig Verspätung schadet bei diesen Praktikern gewiss nicht. Was unsere Professoren betrifft, so ist zunächst Kölliker sehr fleissig als vergleichender Histiolog, er hat in dem Sommer fast nur Insecten untersucht, u. da allerhand zu Tage gebracht, wovon Du früh genug hören wirst. Seine Leistung von Nizza usw. aus den Verhandlungen wirst Du wol erhalten haben; wie gefällt? Dr. Kunde war wieder hier und hat hübsche Sachen gemacht, wovon ein andermal. Müller schreibt ein Opus über Cephalopoden, wie Du wol weißt und hat ausserdem über Knochenbildung allerhand Neues und Seltsames zu Tage gefördert. Von den andern ist nichts zu sagen, ausser etwa wenn man will, dass Scanzoni von seiner Petersburger Reise zurück und dafür den „bairischen Civilverdienst“orden (wol zu bemerken) erhalten und geadelt worden ist. In Virchows Archiv wird nächstes ein hübscher Fall von Leukämie von Friedreich, der a.o. Professor geworden (wie auch Welz), erscheinen; von mir ein nicht ganz uninteressanter Fall von capillärer Embolie.

Nun noch Einiges von den Freunden. Von Blasius hatte ich erst einen Brief, der noch dazu wenig sagte; er arbeitet sich schwach und krank, obgleich er es nicht nöthig hat, gründet Sammlungen und wüthet gegen sich selbst. Weiter weiss ich nichts. Von Hein weiss ich nichts als dass er Assistent am Danziger Spital und viel zu thun hat. Boner ist ganz fidel und treibt horribile dictu Botanik mit seinen Pastoren und meint, Du würdest eine Freude über die prächtigen Pflanzen haben, die er schon gefunden. Glaube schon! – Das Beste ist aber, dass er seine Stelle aufgibt und – ein freier Mann sein wird. Was weiter?, wissen die Götter. Peter Strube ist in Berlin, lebt wie immer gut und wird bevor er sich irgendwo sedimentirt, noch eine Reise ins Tyrol machen und wahrscheinlich wie im vorigen Jahre eine Niederlassung am Achensee gründen, wo Du ihn finden kannst. Blödan dient in Berlin jetzt als Arzt.a

Ich habe eigentlich schon zu viel geschrieben, doch wird es nicht schaden. Meinetwegen sei ausser Sorgen, die Geschichte ist vorüber; ich wünsche Dir eine ebenso frühlich als trockene Reise und bitte Dich die besten Grüsse den Herren Focke und Call zu sagen. An letzteren gibst Du wol einliegenden Brief.b

In herzlicher Liebe

Dein Kleiner.c

a Text weiter am linken Rand: lebt wie … als Arzt.; b Text weiter am linken Rand von S. 2: Ich habe … einliegenden Brief.; c Text weiter am linken Rand von S. 3: In herzlicher … Dein Kleiner.

Brief Metadaten

ID
7822
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
17.07.1857
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 21,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7822
Zitiervorlage
Beckmann, Otto an Haeckel, Ernst; Würzburg; 17.07.1857; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7822