Franz Johann Becker an Ernst Haeckel, Heiden, 13. Mai 1912

Hôtel FREIHOF

a HEIDEN

(SCHWEIZ.)

ALTHERR-SIMOND

PROPRIÉTAIRE

den 13 Mai 1912

Verehrter Herr Professor,

Ich danke Ihnen bestens, für die schnelle Beantwortung meines Briefes, ich habe sofort nach Frankfurt geschrieben, wegen der 30 Thesen; ich glaube zwar, daß ich sie schon kenne resp. gelesen habe. – Aber so geht es, in unserer aufgeregten Zeit, man hat das allerbeste Material und sucht doch immer nach etwas Neuem. –

So ist es sehr zu bedauern, daß in unserer Zeitschrift, so wenige oder keine Werke, über den Monismus erwähnt werden; ich finde auch, daß Ihr großartiger || Vortrag, über die Fundamente des Monismus, in jedem Hefte erscheinen sollte; die Zeitschrift ist doch auch Propaganda Mittel und daher sollte immer angenommen werden, daß eine gewiße Anzahl Hefte in fremde Hände gelangt, die nichts vom Monismus wissen. –

Es ist auch zu befürchten, daß wenn die gegenwärtigen Leiter der Zeitschrift, den Gottesbegriff ganz aus dem Monismus eliminirenb wollen, so wird die Anwerbung von Monisten viel langsamer und schwieriger von sich gehen. –

Ich glaube daher, daß in diesem Falle, eine Spaltung im Monismus || stattfinden wird!

Einen Häckel’schen Monismus mit Gottesbegriff und einen Monismus auf Wissenschaft und Energie basirt. –

Ich bin aber fest überzeigt, daß Letzterer den Menschen nicht genügt. –

Wir wollten froh sein, wenn die Leute das Christenthum abschütteln wollen, aber dann muß man ihnen auch den Gottesbegriff laßen.

Es ist sonderbar, wie Wenige, Akademiker oder Nicht-Akademiker, sich in das Wesen der göttlichen Natur hineingelebt haben, sonst müßten sie doch einsehen, daß selbst der energievollste Gelehrte nur ein Eintagswurm ist, gegen die göttliche Natur welche das Weltall in sich verkörpert. – ||

Wenn ein energievoller Professor oder Dr., einmal ein Veilchen oder gar ein schönes junges Mädchen herstellen kann, dann ist es immer noch Zeit den Gottesbegriff aus der Welt zu schaffen, bis dahin aber geziemt es sich, für uns kleine Menschen, die Natur als Gott, in aller Ehrfurcht und Bescheidenheit anzuerkennen.

Ich bitte Sie, verehrter Herr Professor, diesen langen Brief zu entschuldigen und meine hochachtungsvollsten Grüße und herzliche Wünsche für Ihre Gesundheit, genehmigen zu wollen. –

Franz Becker

Ich reise, theilweise wegen meiner Gesundheit, viel in der Welt herum; ich bitte Sie, sich also nicht zu wundern, wenn ich Ihnen so oft, von einer andern Adresse schreibe.c

a gestr.: UND SCHWEIZERHOF; b korr. aus: elimiren; c Text weiter am linken Rand von S. 4: also nicht … Adresse schreibe.

Brief Metadaten

ID
7761
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Heiden
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
13.05.1912
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,6 x 21,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7761
Zitiervorlage
Becker, Franz Johann Jakob Emil an Haeckel, Ernst; Heiden; 13.05.1912; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7761