Becker, Daniel Georg

Daniel Georg Becker an Ernst Haeckel, Rödelheim, 4. Oktober 1902

„O! Herrlicher Häckel! Wie schade, daß solche Männer sterben müssen!“ Das war die Begrüßung Theklas, als ich ihr das den Schwestern gewidmete Heft und Bild gegeben hatte.

Meine Freude war eine der Größesten meines Seins! Dank! Tausend Dank! Sie haben ein Paar glückliche Menschen gemacht! Das waren Röntgenstrahlen von Gemüth und Verstand! Die gehen bis auf die Knochen! Wenn mein Vertrauen zu Ihnen, hochverehrter Freund noch steigerungsfähig wäre, dann würde Ihr „Bild“ das Nöthige dazu beigetragen haben, aber Sie konnten auch in einer weniger schönen Hülle meinem Auge erscheinen, ohne meine Meinung zu irritieren.

Wie sich die Verkehrskreise im Alter immer enger ziehen, so ist auch mein Kreis immer enger geworden. Drei, vielleicht vier richtige Freunde, meine Kunst und meine sauer || erworbene Bibliothek. Das sind eben noch die Spender des Regens auf die wissensdürstige Flur des „Ursachenthieres“. Dem Erfinder dieses Wortes, (dem 19ten Kind seiner Mutter) Lichtenberg, hat man, ungeachtet meiner Bemühungen in Darmstadt an zuständiger Stelle, noch kein Denkmal gesetzt.

Sein Denkmal hat ihm die Wissenschaft gesetzt, indem Lichtenbergs Geist überall von ihr in ihre Schriften heraufbeschworen wird. Diesen „Spiritismus“ können wir wohl anerkennen. – Ich bin der Sohn eines armen Musikers. Hätte so gern Naturwissenschaft studiert, aber der nevus rerum fehlte. Zudem war ich eine Art Wunderkind, welches mit 7 Jahren alle musikalischen Töne die ihm zuflogen a nennen konnte. Mit 13 Jahren bekam ich die ersten 4 Schüler im Klavier, mit 71 Jahren habe ich wieder vier. Habe es aber wenigstens zu einem schönen Besitzthum, 2700 Zoll Garten mit Sieben-||zimmerhaus gebracht, auf welchem keine Lasten sind. Mein Musikverleger Prof. W. Hofmeister, zuletzt an der Universität in Göttingen, roch Etwas aus meinen Briefen heraus, er klopfte auf den Busch, und die Freundschaft der Forscher war gegründet. Mein erstes Immersionsobjectiv, Steins Infusorienwerk, 100 Gulden für mein erstes Tonwerk (eine Cellosonate) danke ich ihm, einemb Wissenschaftler bei dem die Regierung, wie mir Prof. E. Roßmäßler erzählte, einmal ein Loch in die Pauke geschlagen hatte, indem sie ihn, der nur Gymnasialbildung hatte, als Professor nach Heidelberg zu seinen Freunden Bunsen und Kirchhoff berief. Diesen wollte er mich vorstellen. Aber das Geschick wollte es anders. Der Tod weiß nie! Bunsen ging voraus.

Und Alle gingen hin! So steht man im hohen Alter, ein grünender Baum, sehend, wie unsere Lieben längst abgeblättert sind, fast allein mit einem Herzen voll Liebe und Verachtung. ||

Und auch Ihrem verehrten Freund ist dieses Dur und Moll nicht erspart! Die einseitig raffinierte Beschränktheit tritt den „Kämpfer in der Öffentlichkeit“ doppelt mit Füßen. Sie sagen dafür mit Heine „aber meine Feinde sind gar nicht zu lächerlich, ich gebe ihnen aus Kourtoisie diesen Titel, obgleich sie meistens nur meine Verleumder sind. Es sind kleine Leute, deren Haß nicht einmal bis an meine Waden reicht. Mit stumpfen Zähnen nagen sie an meinen Stiefeln. Das bellt sich müde da unten.“ – Zum Schluß ein Bildchen welches ich beim ersten Erkennen für Thekla machte.

„Ein zierlich Mädchen wandelt unter Erlen

Am Bache, liebeträumend, wonnestill.

Die Rosenknospe, noch bestreut mit Perlen

des Morgenthaus, die sich öffnen will.

Mit dem dankbarsten Herzen grüßt

Ihr ehrlicher Freund

D. G. Becker.

Rödelheim

4/10/2

a gestr.: können; b korr. aus: Einem

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
04.10.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7738
ID
7738