Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn-Poppelsdorf, 22. März 1899

Bonn-Poppelsdorf 22.3.99.

Verehrtester Herr Professor,

Meine Gedanken suchen Sie in südlicher Sonne am Gestade des Mittelmeeres als Gast an fürstlicher Tafel und habe ich hoffentlich mit meiner Vermuthung, daß Sie diese Zeilen nicht mehr in Jena antreffen, Recht. Warum nicht gern dem Anblick einer so unzeitgemäßen Winterlandschaft – so malerisch sie an und für sich sein kann – fliehen? Hier ließ der Schneereigen duftig und unbarmherzig seine Flocken auf die rosigen Aprikosen-Blüthen niederfallen. Einem Johannistrieb schadete ja wohl eine so grausame Lektion nicht – aber berechtigte Frühlingstriebe sollten nicht plötzlich so eisig vernichtet werden. – Fast könnte ich Sie beneiden um Ihre Riviera-Reise – wenn ich sie Ihnen nicht von Herzen gönnte. Es wäre doch wirklich unverantwortlich Ihrer Gesundheit gegenüber, die strenge Clausur mit Grübeln über die Welträthsel vorzuziehen. Wozu überhaupt Räthsel lösen, das ist doch schließlich nur eine Profanirung derselben. Mein lieber Alter hat Ihnen endlich für die Zusendung der herrlichen „Kunstformen der Natur“ gedankt. Ich danke Ihnen noch ganz besonders für den hohen Genuß! Ich muß sagen, als ich mir die Riesen-Arbeit vorstellte, die wieder in dem Hefte steckte, konnte ich nur wieder den Uebermenschen || in Ihnen erblicken. Sie verlangen von mir eine strenge Kritik und legen mir die ganze unverdiente Ehre zu, mich Künstlerin zu nennen. Wäre ich als einziger Goldfisch eines Banquiers auf die Welt gekommen, anstatt als siebentes Kind (von Elfen) eines armen Theologen, so hätten meine Talente es wohl zu etwas bringen können. Aber als Laie darf ich sagen, daß ich ganz entzückt von der Schönheit und wunderbaren Gestaltung dieser Organismen bin. Einzelne Gebilde erinnern an die Orchideen, von denen ich so viel wunderbar schöne Arten kenne, andre an die Kunst des Goldschmieds (Filigran-Arbeit) und wie entzückend schön sind die Kalkschwämme und die Korallen. Ich freue mich darauf das Heft meiner ältesten Tochter zu zeigen. Dieselbe macht nach einem neuen Briefe des maëstro, erfreuliche Fortschritte. Warum die Götter ihre Gaben so verschwenderisch auf ein Menschenkind ausschütten daß Sie nun auch die Fähigkeit haben das künstlerisch vollendet wiederzugeben was Sie erschauen. Wollen Sie nicht Herren Lieber, v. Ranitz und Sorbe als Kritiker herausfordern? Nein – das sind Perlen vor die Säue. ||

Beim Anblick dieser vollkommenen Formen denke ich immer wie selten die Natur doch einen vollkommen tadellos schönen Menschen oder ein andres hochstehendes Geschöpf (wie z. B. Pferd) eigentlich schafft. Es scheint – je weniger Zellen, desto vollendeter. Jedenfalls finden Sie mit Ihrem kritischen Auge, mit Ihren Farben und Formensinnen immer gleich das Schöne heraus an dem das Herden-Volk meist stumpfsinnig vorübergeht. Da ist‘s wirklich verdienstvoll uns die Augen ein wenig aufzuthun. Nochmals herzlichen Dank für das Heft! –

Was meine Wenigkeit anbetrifft, so geht es mir viel besser nach der Kur. Bin jetzt bei kalten Begießungen 16 Grd. Réaumur angekommen. Schließlich nichts Neues, denn kalte Duschen brachte mir das Leben genug. Wenn ich mich nicht täglich grämte meinen lieben Alten doch so verlöschen zu sehen, würde mein Nervensystem noch mal Reisen annehmen. Es macht sich bei ihm die starke Verkalkung der Arterien in schwacher Herzthätigkeit (Puls 48), leichtem Schwindel, rigidem Wechsel im || Aussehen etc. immer mehr bemerkbar. Auch spricht er so oft von seinem nahen Tode, während ihn früher ein allzu großer Optimismus beseelte: Es thut mir so leid, daß er bei seinem Fleiß, seinem Denken und Arbeiten, so wenig Erfolg hat. Und so Bescheid er mit den Nerven wußte, – mit dem nervus rerum ist er nicht richtig umgegangen. Und der schnöde Mammon ist gar zu nichtig, diese Einsicht kommt Vielen zu spät. Wenn ich eine Eisenbahn fahren sehe – möchte ich mich immer dran hängen, solche Sehnsucht fort – überfällt mich. – Neurasthenische Anwandlungen, Unlogisches Denken. – Doch wer glaubt noch an die Macht der Logik außer dem alternden Virchow. – Abgethane Abstraktion. Leben Sie wohl; verehrter Freund und wenn ich auch wahrlich nicht vom modernen Bacillus der Ansichtskarten besessen bin, aber eine Postkarte aus Cannes – als Ueberbleibsel der trügerischen Riviera Fata Morgana, fliegt hoffentlich zu mir. Mit warmem Gruß und bestem Wunsch für Ihr Wohlbefinden

Ihre

treu ergebene

Käthe Besser.

Brief Metadaten

ID
7548
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
22.03.1899
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7548
Zitiervorlage
Besser, Käthe an Haeckel, Ernst; Bonn-Poppelsdorf; 22.03.1899; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7548