Besser, Käthe

Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn-Poppelsdorf, 18. September 1898

Poppelsdorf den 18. Sept. 98

Verehrtester, lieber Herr Professor,

In seltenen Fällen schwingt meine sogenannte Seele, specialisirter ausgesprochen, mein beseelter Kehlkopf oder Stimmbänder, sich zum Singen auf. Selten, weil Lieben und Singen wie Goethe sagt – sich nicht läßt erzwingen – und da ist eins meiner Lieblingslieder aus dem Trompeter von Säkkingen: Magarethe [!] ist die glücklichste Maid im deutschen Buch geworden, doch war das Glück ihr angethan u.s.w. – So mußte ichs mit der kleinen Variante herausschmettern Frau Käthe ist das glücklichste Weib – – nach Empfang der Jenenser Post am Freitag Morgen die ich am Küchenfenster bei der prosaischen Beschäftigung für die Gastrula in Empfang nahm, und die mich weit fort von den Kochkesselna in die Wolken erhoben und in einer Art Götterdämmerung des Empfindens versetzte.

Innigen Dank hochverehrter Freund! Ich glaube Sie ahnen meine intensive Freude über die herrlichen Bilder, oder sollte ich mich mit dieser Annahme schwer täuschen? Das Brustbild mit dem Schöpfungshut, giebt Sie ausgezeichnet wieder. Das Kniestück ist auch wundervoll, || aber Augen und Mund zeigen den Skeptiker meine ich. Sollte das vielleicht auf das Buch in Ihren Händen dunkel zurückzuführen sein? Während ich an Sie schreibe steht‘s vor mir in würdigem Rahmen und unwillkührlich fällt mir der Vers von Mirza Schaffy ein

„In jedes Menschen Gesichte

Steht seine Geschichte

Sein Hassen und Lieben

Deutlich geschrieben

Sein innerstes Wesen

Es tritt hier ans Licht

Doch nicht Jeder kanns lesen

Verstehn jeder nicht.“

Und ich bin so kühn zu behaupten daraus richtig zu lesen. Und nun die herrlichen indischen Briefe mit der lieben Widmung! – Um zwei Uhr drehte ich das Gas des Nachts über meinem Bett aus und schlief mit dem Gedanken an den tropischen Zauber ein. Ich meine die Sehnsucht müßte Sie immer wieder hinziehen. Mag es einem gewöhnlichen Menschenkinde so ergehen, wie anders Ihnen, der mit solchen Sinnen und Forscher-Geist, mit unzähligen Kenntnissen das Zehnfache erschaut und ergründet, es seinen || Mitmenschen abgebend. Und wie liest es sich so schön, so glatt wie mein Liebling Heyse, dessen Sprache mir nur ein Spaziergang über blumige Wiesen scheint. Auch bei Ihnen ist’s trotz vieler wissenschaftlicher Belehrungen ein solches Wandern, und ist der Erdengrund statt mit Blumen mit seinen Geschöpfen belebt über den der Zoologen-König schreitet. Sie sind mir doch nit böse ob meiner Kühnheit das Alles auszusprechen? Ich kenne mich selbst kaum wieder. Suchen Sie den Grund zu meiner Kühnheit in der warmen Sympathie und Verehrung die ich vom ersten Augenblick an für Sie empfand. Auch der mich beständig quälende Gedanke an meinen baldigen Tod, ich traue dem vagus gar nicht mehr, die ewige Schlaflosigkeit, ist auch eine psychologische Erklärung für meine Offenheit, ich danke dem „fatum“ daß ich Sie kennen lernte. Die gewünschten Bilder sende ich Ihnen nach Baden-Baden, und bitte Sie herzlich || mir möglichst bald mit einer Karte Ihre dortige Adresse mitzutheilen und damit zu sagen, daß Sie meinen Brief erhalten haben. Ob ich Ihnen gleich die drei Phorkyaden aus der klassischen Walpurgisnacht senden kann, weiß ich noch nicht, Sie haben vielleicht vorläufigb genug von der ältesten der Göttinnen. Aber ich will nichts Angenehmes nach dem Muster des Mephistopheles hören! – Sie sagen ja pag. 209 selbst „Im Alter verliert sich der Reiz jener milden und anmuthigen Gesichtsbildung ganz – besonders beim weiblichen Geschlecht, und es tritt eine gewisse Härte oder Stumpfheit und Ausdruckslosigkeit an deren Stelle. Oft springen auch die Knochentheile des Gesichts dann sehr unangenehm vor etc. – Also bitte um Nachsicht, zumal das eine Bild von 94, das andre von 97 ist und der Zahn der Zeit gerade im letzten Jahr besonders stark an mir genagt. Ich bin stolz, daß die Ruine ein Plätzchen in Ihrem Album finden soll, meine hübschen Mädels sollen den Ausgleich herstellen. ||

Leider sind kleine Steinchen noch immer kein Gold, sonst wäre ich jetzt Ihr Badener Ganymedes zumal die Kollegen noch sehr zu einem solo-Ausspannen vor dem Winter rathen. Mein Herr und Gebieter ahnt nicht, wie ungern ich nach Düsseldorf zur Naturforscher Versammlung gehe, mein Sinn steht so garnicht darauf gerichtet. Aber der Brave muß halt. Ich meine immer bei den ethisch-philosophischen Schriftstellern ist Theorie und Praxis oft recht verschieden, so z. B. im Kapitel der paritätischen Ehe. – – –

Um Himmels Willen schreiben Sie verehrter Freund, nie ein philosophisches Buch, dann geht eine graue Wolke über Ihren goldenen Stern! – –

Hätte ich den Geist der Bettina,c möchte ich Sie bitten Göthe zu sein und mir manchmal zu schreiben. So bin ich eine simple Dutzendfrau die noch nie fertig gebracht hat, d || das abstrakte Denken – ich hoffe, sogar diese Hypothesen und Weltverbesserungsmethoden – ihres Mannes zu verstehen, meine Zellen können nicht begreifen das grün eigentlich nicht grün ist etc. etc. etc. – –

Und wozu lange Abhandlung von und des Seiens von Allem und Jedem.

Die größte Unbescheidenheit

Ist der Glaube an die Unsterblichkeit

Die Zumuthung an die Natur,

Diese dürftige Menschenkreatur

Selbst in den mißlungensten Exemplaren

Für Ewigkeiten aufzusparen, –

solche Kürze der Abhandlung ist mir lieber.

Jetzt verliebe ich mich in Ihre Schöpfungsgeschichte, verehrter Herr || Professor, und schäme mich furchtbar all diese herrlichen Schöpfungen nicht eher gekannt zu haben, habe höchstens die Entschuldigung, daß ich die Sachen mit mehr Verständniß und Ruhe, also mit mehr Genuß, lese.

Obwohl mit Wuthgeschrei die Pfaffen

den Satz der Wissenschaft verdammen,

daß „einem“ Ahnherrn Mensch und Affen

Und selbst der Pontifex entstammen,

Verlangen doch die Unfehlbaren,

Die sich so tief empört geberden,

daß plötzlich die von Menschenpaaren

Erzeugten – wieder Affen werden. –

Doch ich fürchte „Sie“ werden empört sein über mein langathmiges Plaudern. ||

Gelt, Sie sind mir sehr, sehr böse? Bitte, bitte nicht!! Vielleicht überwintert mein vagus, mein schlechtes, schlechtes, schwaches Herz noch in der Hoffnung mit Ihnen an die Riviera zu gehen! –

Guten Erfolg von dem herrlichen Baden-Baden das ich sehr liebe. Heute Abend fahren wir nach Düsseldorf, heute Morgen verließ uns Professor Griesbach, vor einigen Tagen war „Hofrath“ Erdmannsdörfer bei uns.

Ein herzliches Lebewohl in der Hoffnung – Ihre Badener Adresse (ich habe Ordre gegeben sie mir sorgfältig zu verwahren – Freitag komme ich spätestens zurück, mein Mann bleibt wohl länger, –) zu erfahren.

Ihre

sehr ergebene

Käthe Besser

nicht die causa melior.

a korr. aus: xxx; b eingef.: vorläufig; c gestr.: so; d gestr.: sich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.09.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7537
ID
7537