Emil Bessels an Ernst Haeckel, Stuttgart, 22. Oktober 1868
Stuttgart den 22/X 68
Geehrter Herr Professor!
Wird meine Arbeit über das kugelförmige Organ der Amphipoden wohl noch in das nächste Heft aufgenommen werden können, wenn ich dieselbe erst in den ersten Tagen des nächsten Monats sende? Ich muss noch einige Beobachtungen näher constatiren und bin nicht im Stande hier trächtige Thiere aufzutreiben. Ich muss deshalb auf einen Tag nach Heidelberg, wo ich das Gesuchte sicher finde. Ich liess mir eine Portion schicken; aber Alle waren todt als sie ankamen und die Eier am Marsupium total verdorben. Es sind eigenthümliche Verhältnisse die in dieser Beziehung obwalten. Ist die Temperatur des Wassers, in welchem sich Amphipoden befinden das ganze Jahr hindurch ziemlich constant – wenn auch verhältnissmäsig kalt – so pflanzen sich die Thiere beständig fort, ist dies nicht der Fall, so scheinen sie bei hereinbrechender kalter Witterung das Fortpflanzungsgeschäft gänzlich einzustellen.
Nun kommt ein Bild, das eigentlich den Anfang des Briefes hätte bilden sollen. Ich meine nämlich meine herzlichste Gratulation zum Eintritt des jungen Weltbürgers in Ihren Familienkreis. Möge er ein tüchtiger Zoolog werden und ihm der || „liebe Gott“ zu allen seinen Unternehmungen Glück und Gedeihen schenken – Amen!
His, der vor 14 Tagen nach Paris abreiste, gab mir eine Photographie seiner Lorley [?] für Sie, die ich Ihnen mit dem Aufsatze zusenden werde.
Die „deutsche Liebe“ und Ihren lieben Brief habe ich durch Jaeger, der Sie bestens grüssen lässt, empfangen. Fraas, dem ich Ihre Schöpfungsgeschichte durch meinen Freund, den Buchhändler Schaber so von ohngefähr zuschicken liess, stellte sich fast auf seinen dicken Schwabenkopf vor Erstaunen. „Es thut mir leid um den Manne“ (mit dem Manne ist der Autor gemeint) rief er aus – Das war Alles was ihm über seine vom Betkrampf geschwächten Lippen kam. Später stellte er sich trotzdem bei mir ein, mich bittend, ihm die Moneren doch zu zeigen, die das ganze grosse Unglück angerichtet! Krauss, der so lange indifferent bleibt, bis man ihm auf sein pachydermes Fell rückt, meinte: O! ganget Se mer weg mit deem Schwindel, dees leees ich nit, deees isch doch Alles net woor; Alles ischt verloge. Dies die Aussprüche zweier gewichtiger Räder im Staate. Die Orden empfangen und anstecken und eher, um mit Heine zu reden: ein Diadem von Kott verdienten. Pfui! über all diese || alten Knöpfe, die als höchste Errungenschaft der „Wissenschaft“ die vervollkommnete Brau-Art des Biers betrachten – Lassen wir diese trübselige Saite jetzt verklingen.
Was würden Sie davon halten, eine günstige Stellung als Custos am Museum zu Triest anzunehmen? Es lebt sich so herrlich am weiten freigiebigen Meere! Ich bin noch unentschlossen was ich zu thun gedenke. Sie sind die einzige Seele, ausser Jaeger, die um die Sache weiss. Wenn verschiedene Bedingungen fallen, dann sage ich den Schwaben Ade! Durch die hiesige Engherzigkeit kann man des Teufels werden!
Haben Sie den Vortrag Weissmann’s gelesen „Ueber die Berechtigung der Darwin’schen Theorie? Auch er nimmt die Eiszeit zu Hilfe. Seit einiger Zeit bildet die Glacialperiode das Thema über das ich mich mit Jaeger unterhalte. Das Wandern der Vögel ist mir dadurch zu erklären. Jäger wird darüber einen Aufsatz in’s Ausland schicken. Was die Cerkarienschwänze anlangt, so war mir die Arbeit von La Valette wohl bekannt. Lachen Sie mich wohl aus, wenn ich Ihnen hierüber einen Gedanken mittheile? Wenn Sie die Untersuchungen von Dury über den Primitivstreif betrachten, so werden Sie finden, daß D. die Behauptung aufstellt || derselbe verschwindet sehr rasch wieder, sei gewissermassen nur das Prodrom der Chorda, aus welchem diese sprosst. Ich meine mit anderen Worten, dass dieser Anhang dem Primitivstreif entspricht, der wohl noch ein Larvenorgan aus früherer Zeit darstellt. Ich fand an der Abschnürungsstelle ganz sonderbare helle Zellen, die sich dann in den Theil erstrecken, der zur Cerkarie wird.
Soeben werde ich von Krauss abgerufen. Leben Sie wohl!
Ihr ergebenster
Emil Bessels.