Bergner, Franz

Franz Bergner an Ernst Haeckel, Zyrardow, 23. November 1904

Zyrardow, 23/11 1904

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich bringe weitere Aufdeckungen zur gefälligen Kenntnisnahme.

Daß wir Menschen sich freuen über menschlichen Thun u. Lassen, an manchen Wohlgefallen finden, über manchen hingegen betrübt sind u. Abscheu etc empfinden, das ist menschlich, denn wir sehen die Welt mit menschlichen Augen: Da aber der fast allgemein anerkannte Gott ebenso empfinden soll, so erkennen wir, daß das nur ein menschgeschaffener Gott ist. Einen wirklich von Zeit und Raum unabhängigen Gott, dürfte alles menschliche Thun u. Lassen weder so noch so rühren, denn er würde alles als natürliche Folge, als natürliches Werden erkennen.

Wenn wir ein Stück Draht nehmen u. biegen, ein Stückchen Holz brechen, ein Buch auf und zu machen oder sonst etwas ganz gleichgiltiges thun: werden wir uns da freuen, oder betrüben? Wir wissen, daß sich der Draht biegen muß, wenn wir das eine Ende fest halten u. an dem Anderen nach einer Seite drücken, u. das Holz muß brechen, wenn wir es zuviel biegen etc aber freuen oder betrüben wird es uns nicht. Ebenso wenig würde ein außer Zeit u. Raum stehende Gott das menschliche Thun u. Lassen rühren; für ihn wäre alles das nicht mehr oder weniger von Bedeutung wie uns das Biegen des Drahtes, denn er wüßte doch, daß diese oder jene Handlung folgen muß, weil alle die dazu gehörenden Ursachen vorhanden sind: er wüßte, daß diese u. jenen Handlungen, Gedanken, u. Worte so u. so folgen müssen, weil das Kausalverhältnis sie in der Entwickelung erkennen läßt: sie sind schon unreif vorhanden u. es betarf nur noch der Reife.

Ein solcher Gott würde ganz genau wissen, daß in einem sogenannten rohen Menschen kein sog. edler Trieb vorhanden ist u. daß ein solcher nicht edel denken u. handeln kann, während der sog. Edle nicht gemein sein kann. Er würde ferner niemals wollen, daß von den Bäumen Semmeln wachsen u. im Bach Milch oder Honig fließt, er würde niemals sog. Wunder wirken, weil die Natur an u. für sich selbst vollkommen ist u. es gar keiner Verbesserung bedarf: Da aber dieser Gott abwechselnd freudig u. betrübt sein soll, über menschlichen Thun u. Lassen, das er aber gar nicht sein soll infolge seiner Allwissenheit (denn er muß doch wissen, daß das was eben geschieht, geschehen muß) || so erkennen wir, daß a das nur ein menschgeschaffener, mit menschlichen Eigenschaften ausgestatteter, nicht allwissender, sonder beschränkter, halbwissender Gott ist, der beständig von seiner Welt die er doch erschaffen haben soll durch Unvorhergesehenen freudig oder betrübend überrascht wird.

Daß dieser menschgeschaffene Gott niemals ergründet werden wird, das stellten die, die daran arbeiteten außer allen Zweifel (der Hl. August mit dem Kinde, das das Meer in einen Kruge schöpfen will). Sie waren klug u. gescheite Menschen, aber nur halbwissende, die den Schein, das Wahrscheinliche für absolute Wahrheit hielten; sie konnten daher ihrem gemachten Gott nicht mehr Wissen mitgeben als sie selbst besaßen. Unter vielen anderen wußten sie auch nicht, daß alles in der Welt erscheinente wieder verschwinden, sterben muß; sie wußten nicht, daß der Toteskeim schon in der Geburt, der Zeugung liegt, sie wußten daher nicht, daß auch ihr Gott kein voriges Leben haben kann u. daß nur wirklich absolute Wahrheit von ewiger Dauer ist.

Ihr Wissen war ein einseitiges, unvollkommenes: sie hielten die Dinge die dem Menschen gut scheinen, für absolut gut, während es in Wirklichkeit nichts gutes, aber auch nichts schlechtes giebt: oder, es giebt soviel schlechtes (böses) als gutes. Je mehr wir im Stante sind, in der Welt Gutes zu finden, zu erkennen, je mehr erscheint auch das Gegensätzliche, weil eben all das schön empfundene zum Gegensätzlichen werden muß. Mit jeder einzelnen schönen Empfindung verändert sich unsere Welt u. zwar so, so daß wir dadurch stets auch gleiches mit gleichem empfangen, empfinden. Dem sogenannten Tugenthaften scheint seine Welt anders, als dem sog. Lasterhaften; einem jeden wie es ihm zukommt. Kassandra ist unglückseelig, weil sie Seherin ist; der geistig Arme wird seelig gepriesen. Im Grunde aber geht es beiden gleich: der eine Theil hat Genuß in der Welt, dafür aber auch das Gegentheil: der andere Theil ist Genußunfähig, hat aber dafür kein Gegensätzliches zu empfangen. Es hat also niemand etwas voraus.

Schiller sagt: Zwischen Sinnenglück u. Seelenfrieden bleibt uns nur die bange Wahl: Ganz richtig: beides können wir nicht besitzen: wo das eine ist, kann das andere nicht sein. Genießt der Mensch, so muß er auch das Gegensätzliche empfangen, u. empfängt er es, so kann von Seelenfrieden nicht die b Rede sein.

Wie schon einmal gesagt, liegt die höchste Gerechtigkeit schon in der Natur der Sache, der Dinge selbst und ist kein Himmel und keine Hölle zur Belehrung oder Vergeltung nothwendig.

Eben weil das Wissen bei den Religionsstiftern ein einseitiges, ein halbes war, so schufen sie einen Himmel u. eine Hölle um das bei Lebzeiten scheinbarc ungleiche, das scheinbar ungesühnte nach dem Tote gleich zu machen. Sie verkannten nicht, daß schon hier auf Erden, bei Lebzeiten alles quitt gemacht, alles abgezahlt werden muß: sie verkannten nicht den || kausalen Verlauf eines Menschenlebens. Sie sprachen von einer höchsten Gerechtigkeit u. steckten doch ihre Sünder in einer ewigen Hölle, was doch eine höchste Ungerechtigkeit wäre. Es leuchtet bei dieser Zumessung wiederum die leichtfertige Einseitigkeit hervor u. z. finden wir, daß diejenigen gar keine Ahnung, keinen Begriff hatten von der Ewigkeit, für sie war sie allenfalls eine Zeitdauer von einigen tausend oder Millionen Jahren.

Wir wissen nun u. es ist eine ausgemachte Sache, daß alles was in Zeit u. Raum ist, beständig älter, anders u. zum Gegensätzlichen wird u. werden muß: mit diesen ist die Welt überhaupt erklärt.

Wir erkennen die sogenannten Wunder als Unwahrheiten, so z. B. die Erweckung des Lazarus vom Tote: In dieser einzigen Wunderthat liegt eine Welt von Unwahrheiten, oder, alles bezeugt, daß es unwahr ist. Wenn dieser sog. Gott so unendlich hoch über der Welt, der Menschheit steht, er aber derartige Wunder wirkt, so nimmt sich das etwa so aus, als wollte ein Mensch vor einer Vieherde oder einem Wald Kunststücke machen. Es wäre also beides dumm. Daß aber dieses Wunder geschehen sein soll, steht schwarz auf weiß: Damit sehen wir aber auch die menschliche Unwissenheit, die menschliche Dummheit. Der allwissende, allmächtige Gott vernichtet da Dinge, die nur ein unwissender Mensch vernichten würde, wenn er es könnte. Es zeigt uns, wie überall, den menschgeschaffenen Gott, der mit menschlichen Wissen u. Unwissenheit ausgestattet ist. Wie sollte solch ein Gott derartiges im Stante sein auszuführen, wenn er weniger weiß als wir Menschen gegenwärtig wissen. Wir wissen, daß die Welt durch Zeit u. Raum entstand u. besteht, daß alles beständig älter, anders u. alles gewesene zum Gegensätzlichen wird: was hätte es da für uns, die wir das wissen für einen Zweck, jemanden vom Tode zum Leben zu erwecken? Wir wissen ja, daß ihm u. seinen Angehörigen dadurch nichts gutes gethan wäre: Denn genießt er wie vordem ein sog. glückliches Leben, so muß er auch all das gegensätzliche Leid empfangen: seinen Angehörigen denen es ebenfalls ein sog. Glück wäre, müßte dasselbe geschehen. Es wäre mit der Erweckung nur derselbe Wechsel der Freuden u. Leiden wieder hergestellt, der früher schon bestand. Wir sind also gar nicht im Stande jemanden etwas Gutes zu thun ohne d ihm nicht e auch Böses zu thun; u. das wußte dieser Gott nicht, weil es ebenf ein menschgeschaffener war.

Hochachtungsvoll

Bergner

a gestr.: er; b gestr: di; c korr. aus: scheinbare; d gestr.: nicht; e gestr: auch; f eingef.: eben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
23.11.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7436
ID
7436