Berger, Alwin

Alwin Berger an Ernst Haeckel, Cannstatt, 31. Dezember 1916

KÖNIGL. HOFGARTENAMT

Kgl. Wilhelma, Cannstatt,

STUTTGART, DEN 31. Dezember 1916.

Ew. Excellenz!

Hochverehrter Herr Professor!

Tagtäglich kommt die Rede auf Sie und immer soll ein Brief an Sie gerichtet werden, aber leider ist nie etwas daraus geworden. Aber das Jahr darf nicht zu Ende gehen, ohne dass ich Ihnen noch den längst schuldigen Brief schreibe. So übersende ich denn gleichzeitig Ihnen unser aller herzlichste Glückwünsche. Möge das neue Jahr Sie gesund antreffen und möge es Sie in Gesundheit erhalten und Ihnen das Gute alles bringen, das Sie ersehnen, vor allem den völligen Sieg der deutschen Waffen und einen deutschen grossen konferenzfreien Frieden! ||

Bald werden es nun zwei Jahre, dass wir hier in Stuttgart sind, aber noch kommt es mir oft vor, als sei das nur eine interimistische Stellung und als müsste ich nach dem Kriege wieder zurück zu meinen Pflanzen, namentlich zu meinen Sukkulenten, nach La Mortola. Noch jetzt brauche ich nur die Augen zu schliessen und dann gehen meine Gedanken in La Mortola spazieren. Ich sehe alles so deutlich, mir ist als müsste ich nach den Pflanzen greifen können. In Strasburger’s Streifzügen heisst es von La Mortola der Platz sei „zu schön, um ihn dauernd bewohnen zu können“. Ich habe unserem lieben, zu früh verstorbenen Freund a einmal gesagt, dass ich diese Stelle sehr persönlich auffasste, als sei sie auf mich gemünzt gewesen. Das war sie natürlich nicht, denn sie war lange zuvor geschrieben, ehe ich nach Mortola kam. Aber sie spukte oft in meinen Träumen und nun ist sie Wirklichkeit geworden. Ähnlich wie mir ergeht es meinem Söhnchen, auch der hängt mit jeder Faser seiner kindlichen Seele an dem Platz; hat er doch dort die glücklichste b Kindheit erlebt, während hier die Schule, der Ernst des Lebens hart an ihn herantritt. Sie können aus allem ermessen, wie unendlich dankbar wir Ihnen alle sind für den so überaus lieben Gedanken, uns Ihre schönen Aquarelle von dort zu schenken. Sie schmücken nun unser Wohnzimmer und erfreuen uns alle und mit der schönen Landschaft werden in uns die goldenen Tage lebendig, da sie bei uns waren. Wir sind Ihnen alle höchst dankbar.

Meine liebe Frau und mein Töchterchen haben sich rascher in die neuen Verhältnisse gefügt und sind sehr zufrie-||den und glücklich. Klein Verna mag nur noch das, was deutsch ist. Sie ist schon eine rechte Schwäbin geworden, so dass wir uns oft erstaunt ansehen. „Kind, du bist ja die richtige Schwäbin geworden!“ „Ha, dees bin i au, dees isch e so“. Auch Fritz fängt so an. Aber er will wieder nach Italien, wenigstens an die österr. Adria, wenn er gross ist.

Das Akklimatisieren war nicht leicht und ist auch noch längst nicht abgeschlossen. Doch hoffen wir, dass es diesen Winter besser gehen wird. Aber Zwischenfälle gibt es bei uns immer, da ist immer was los. Letztes Jahr war ich zweimal gefährlich krank, meine Frau einmal. Die Kinder hatten Wasserpocken und Masern u.s.w. – Aber sonst wäre es recht nett, trotz des höchst homöopathischen, wenigstens 30 Jahre zurückliegenden Verhältnissen angepassten Gehaltes. Wir haben wenigstens eine gesunde geräumige Wohnung, Heizung, Licht, Gemüse und Obst, was namentlich jetzt sehr zu schätzen ist. Dann schätzen wir auch sehr die festen und guten Freiplätze als Hofbeamte in beidenc Kgl. Hoftheatern. Das ist etwas, was wir in Mortola sehr entbehrt haben. Hier können wir uns schadlos halten. Morgen gibt es z. B. Wagner’s „Meistersinger“. Auch sonst ist meine Stellung sehr nach Wunsch ausgefallen. Ich bin Vorstand des Kgl. Hofgartenamtes, also alle Kgl. Hofgärten unterstehen mir. Auf der Kanzlei ist mein erster Beamter ein Herr Hofrat und dann ein Obersekretär. In den meisten Fällen geht das „amten“ sehr leicht, ich muss eben meinen Namen oft schreiben; das „Regieren“ besorge ich dann vielfach telephonisch, und dann fahre ich so der Reihe nach umher. Nach Friedrichshafen am Bodensee bin ich bisher nur zweimal gekommen. – Anfänglich wohnten wir in Stuttgart im Alten Schloss, das war eine schreckliche Zeit. Seit Juli vorigen Jahres wohnen wir nun hier in dem sogenannten Hofgärtner-||Hause in der „Wilhelma“. Ein alter Kasten, aber besser als manche neue Bauten. Die Wilhelma ist von Wilhelm I. von W. gebaut. Ein verrückter Bau im maurischen Stil, der hier am Neckar in deutscher Waldflora, wie die Faust auf das Auge passt. Hier sind auch viele Gewächshäuser, aber leider dienen sie meist zur Anzucht von Schnitt- und Dekorationssachen, die mir im innersten verhasst sind. Die Majestäten kümmern sich nicht viel um den Garten, obwohl ich die Anstellung wohl d S. M. allein zu verdanken habe. Aber der Oberhofmarschall Graf v. Stauffenberg interessiert sich sehr für den Garten und er will, dass ich die Gärten wieder zu Ansehen bringe, und dass ich auch interessante Pflanzen hereinbringe. Da gibt es viel Arbeit und eine schöne Aufgabe. – Froh werde ich aber erst sein, wenn ich meine Sachen aus Mortola haben werde und meine Arbeiten fortsetzen kann, denn das wird trotz allem gehen. Meine Frau sehnt sich ebenso nach ihrem Hausrat. Hoffentlich liegt unser Hab und Gut noch unberührt in meiner Casa Nirvana. Wir haben uns hier vollständig neu einrichten müssen, denn in einer leeren Dienstwohnung kann man nicht „provisorisch“ auf längere Zeit leben.

Man kann aber seines Lebens jetzt nicht froh werden. Der Krieg lastet schwer auf dem Gemüte, namentlich wenn man wie ich als Alldeutscher die Kanzlerpolitik nicht billigen kann. Hoffentlich wird dieser gute Mann nicht den Frieden zu schliessen haben. – Am 29. Dez. hat Prof. Schweinfurth in Partenkirchen seinen 80. Geburtstag gefeiert. In Schnee und Eis! Und gesund und munter! Er der er 50 Jahre jeden Herbst zeitig nach dem Süden floh und jedes kalte Lüftchen mied. Er freut sich wie ein Kind, dass er nicht in Berlin war und allem Trubel sicher entging.

Mit nochmals den besten Wünschen und herzlichsten Grüssen verbleibe

Ihr Sie hochverehrender und dankbarer

Alwin Berger.

e Lieber Herr Professor! In 2 Stunden ist das Jahr zu Ende mein letzter Gruss im Alten Jahr gilt Ihnen & dazu meine herzlichsten Wünsche für 1917. Möge es Ihnen viel Gutes bringen, vor allen Dingen bessere Gesundheit. Ihr Bild hängt jetzt in unsrer Mitte, Sie & Prof. Schweinfurth zusammen! Zwei liebe gute Freunde, die uns an leider vergangene schöne Tage erinnern! Herr Roth, liegt zwischen Leben & Tod seit Monaten im Sanatorium in Oberstdorf. Seine liebe Frau pflegt ihn treulich. Sie lässt Sie grüssen. Ihr einst so sorgenfreies Leben ist längst ein Ding der Vergangenheit. Der Neffe Fritz Roth hat sich diesen Sommer verheiratet! Wir leben in der Erinnerung an schönere Zeiten – aber trotzdem möchte ich nicht wieder zu der Lady Hanbury. Unsere Verna sagt stets: „Mei Lebdag lieb i kei Engländer mehr.“ So geht es mir! Lassen Sie es sich gut gehen & vergessen Sie uns nicht. Nochmals ein herzliches „Prosit Neujahr“. Möge es den Frieden bringen. Es grüsst Sie herzlichst

Ihre E. Berger.

a gestr.: gefragt ob; b gestr.: Jugend; c eingef.: beiden; d gestr.: auch; e weiter am Rand v. S. 1: Beischrift von Elise Berger: Lieber Heer Professor...Ihre E. Berger

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
31.12.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7376
ID
7376