Alwin Berger an Ernst Haeckel, La Mortola, 16. Juli 1905

La Mortola

16 Juli 1905.

Hochgeehrter Herr Geheimrat!

Es hat mir in der That die Lektüre Ihrer Vorträge einen hohen Genuss gebracht. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte! Ich bewundere Ihren grossen Mut und freue mich herzlich darüber, dass Sie gerade in Berlin dem heutigen reactionären Preussen so unerschrocken die Wahrheit gesagt haben. Es musste das einmal geschehen in dieser Zeit der Versumpfung. Dass die, die es anging ihr abscheuliches Gift los liessen, ist natürlich, aber der Qualm dieser schwarzen Teufelchen wird gegen die hellen Flammen der Wahrheit doch nicht aufkommen und Ihre Worte haben sicher sehr viel fruchtbaren || Boden gefunden.

Dass übrigens die Erkenntnis der Wahrheit, der Monismus, die menschliche Gesellschaft und deren Ordnung gefährden könne, ist der thörichste Unsinn. Im Gegenteil wird er, meiner vollen Überzeugung nach, die menschliche Gesellschaft auf eine höhere sittliche Stufe bringen. Das wird nicht rasch gehen, aber sicher und allmählich und unaufhaltsam.

Ich wünschte nur der Kaiser würde Ihre Vorträge lesen und sich zu Herzen nehmen.

Wir freuen uns sehr auf Ihren Besuch im nächsten Frühjahr. Herr Dinter aus Deutsch Süd West Afrika hat uns Ihre freundlichen Grüsse gebracht. Ich war sehr erstaunt, dass er bei Ihnen war. Haben Sie ihm nicht recht „afrikanisch“ gefunden? Mir war er, er war über 4 Wochen in La Mortola, mit jedem Tage unsympathischer geworden.

Mit gleicher Post erlaube ich mir || Ihnen eine kleine botanische Arbeit zu übersenden. Ich hatte sie um Weihnachten ausgearbeitet und während einiger Influenzatage die Abbildungen dazu hergestellt. Bei den Botanikern, die dieses Fach beherrschen, hat die Arbeit Anklang gefunden.

Mehr und mehr beherzige ich Ihren Rat ruhig im kleinen La Mortola auszuharren und fleissig zu arbeiten. Ich finde in meinem kleinen Gebiet eine Goldgrube der interessantesten Arbeit und allmählich werde ich auch bekannter, wenigstens da wo man succulente Pflanzen studiert oder cultiviert. Solche welterschütternde Thatsachen wir Ihre Studien, kann ich freilich aus meinen Opuntien nicht herausbringen, aber auch bescheidenere Arbeit befriedigt, denn sie sucht ja auch dieselbe Wahrheit, von der Sie eben sagten, dass sie von der der Theologen so himmelweit verschieden sei.||

Ich trage mich nun ernstlich, und das ist zum grössten Teil auf Ihren Einfluss zurückzuführen, mit dem Plane einer Excursion in ein Succulentenland, entweder Mexico oder Südafrika. Man kann ja heute so rasch reisen und in wenigen Monaten ungeheuer viel sehen und sammeln. Ich hoffe das Geld dafür schon aufzutreiben.

Diesen Herbst, im September, gehe ich nach Kew, um ein dortiges Herbarium und im Brit. Museum, die aufgehäuften Aloe zu studieren. Im nächsten Frühjahr soll dann die Monographie fertig werden. Ich arbeite fast Tag und Nacht daran. Ich weiss nicht ob ich meinen Wunsch, über Deutschland zurückzufahren, werde verwirklichen können; sehr sehr gern würde ich dann bei Ihnen vorsprechen.

In der Hoffnung, dass Sie sich der besten Gesundheit erfreuen, verbleibe Ihnen in steter Verehrung und Hochachtung

Ihr ergebenster

Alwin Berger.

Brief Metadaten

ID
7351
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Datierung
16.07.1905
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7351
Zitiervorlage
Berger, Alwin an Haeckel, Ernst; La Mortola; 16.07.1905; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7351