Alwin Berger an Ernst Haeckel, La Mortola, Ventimiglia, 5. Oktober 1904

LA MORTOLA,

VENTIMIGLIA,

ITALY.

5. October 1904.

Hochgeehrter Herr Geheimrat!

Lange schon hatten wir uns vorgenommen Ihnen zu schreiben, und jetzt drängt meine Frau darauf, dass der Vorsatz zur That werde. Ich muss also als gehorsamer Gatte diesem Wunsche nachkommen. Wir denken so oft an Sie, es vergeht wohl kein Tag ohne dass wir von Ihnen sprechen. Ihr Besuch war für uns ein grosses Ereignis, nur schade, dass Mortola so abseits liegt. ||

Ich bin Ihnen auch immer noch die Nummelitensteine schuldig, habe sie aber nicht vergessen und binnen kurzem müssen sie auf die Post.

Hoffentlich haben Sie diesen extra heissen Sommer gut verbracht. Hier an der Croce war es kaum auszuhalten. Wir zogen jeden Morgen mit Kind und Kegel in den Garten hinab und lebten wie Nomaden unter dem Schatten der Bäume. So litten Frau u. Kind wenig. Ich war recht fleissig, mich ficht die Hitze wenig an, weil ich mit meinen succulenten Pflanzen wohl ein Stück von deren Natur || angenommen habe. Ich habe meine Monographie der Aloe vollendet, habe einen längeren Artikel über die systematische Gliederung der Gattung Aloe für Englers bot. Jahrbücher geschrieben und darin auch eine ganze Anzahl neuer Species beschrieben. Ferner habe ich einen weiteren Artikel über Opuntien ausgearbeitet und zu all dem eine grosse Menge Zeichnungen hergestellt. Ausserdem habe ich eine grosse Menge kleinerer Artikel für engl. u. deutsche Gartenzeitungen geschrieben, besonders für die Monatsschrift für Kakteenkunde, die seit Prof. Schumanns Tod fast verwaist ist. ||

Meine Studien succulenter Pflanzen machen rechte Fortschritte, ebenso mein Herbarium, in dem ich diese unförmlichen Gestalten nolens volens aufbewahre. Herr Geh. Rat Engler, dem ich es zeigen konnte, war sehr damit zufrieden, er schrieb mir letzthin auch recht befriedigend über meinen Aloe Artikel.

So oft kommt mich der Wunsch an von La Mortola fortzugehen, es ist ja für die Zukunft etwas unsicher hier; aber ihr Rat, den Sie mir gaben hält mich immer wieder. Nun vielleicht lässt sichs hier doch für die Dauer einrichten. Niemand wäre froher darum als ich und meine Succulenten, an denen ich ja für mein Leben lang zu thun hätte. ||

Wir haben im Secolo XIX von Genua gelesen, dass Sie in Rom zum Congresso del libero pensiero gewesen seien. Nach dem „Echo“ aus Berlin hiess es, dass Sie zum Presidenten gewählt würden. Wie schade, dass wir nicht am Wege nach Rom uns befinden.

In Ventimiglia hat sich jetzt auch ein Verein von Liberi pensatori gebildet. Die katholische Presse hat das Zusammenfallen des Congresses mit dem Genralstrike natürlich zu Ungunsten des Ersteren darzustellen gesucht. ||

Wir gelten hier auch für ausgemachte Heiden, umsomehr weil wir unser Kind noch nicht getauft haben. Es gedeiht zwar prächtig auch ohne Taufe, aber wir müssen wohl daran gehen, Pathen sind a ein Freund in Grasse, eine englische Dame und Geheimrat Engler, der gerade am Geburtstag kam.

Der kleine Erich Fritz Ernst entwickelt sich sehr gut. Er ist sehr lebhaft und, was mir vor allem Freude macht, ein guter Beobachter. Des Vaters Freude wäre natürlich wenn der Junge einmal ein tüchtiger Naturforscher werden könnte. –

Sir Thomas Hanbury ist noch nicht zurück, aber wir erwarten ihn nächste Woche. ||

Wir erwarten mit Spannung das Erscheinen Ihres neuen Werkes, das sicherlich hochinteressant und viele neue Gesichtspunkte bringen wird.

Letzten Sonnabend haben wir Herrn de Villeneuve in seinem Praehistoricum in Monacob besucht. Das neue Museum schreitet tüchtig vorwärts. Was für ein grossartiger Bau!

Nächsten Sommer muss ich wegen meiner Monographie der Aloineen nach Kew-London. Den Hinweg werde ich über Deutschland nehmen und gleichzeitig meine Mutter in Möschlitz bei Burgk besuchen. Es würde mich ausserordentlich freuen, wenn mir Zeit bliebe Ihrer freundlichen Einladung Folge zu leisten und ich bei Ihnen || in Jena vorsprechen könnte. Wenn Sir Thomas meinen Urlaub nicht zu knapp bemisst, werde ich es gewiss ausführen.

Mit den besten Grüssen von meiner Frau u. mir verbleibe Ihnen in Hochachtung

Ihr ergebenster

Alwin Berger.

a gestr.: unser; b eingef.: in Monaco

Brief Metadaten

ID
7350
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Datierung
05.10.1904
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
11,2 x 17,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7350
Zitiervorlage
Berger, Alwin an Haeckel, Ernst; La Mortola; 05.10.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7350