Moriz Benedikt an Ernst Haeckel, Wien, 7. April 1918
Wien 7/4 918
Lieber Meister!
Aus Ihrer Handschrift im Briefe vom 4/4 ersehe ich, daß Sie doch objectiv Besserungszustaende wenigstens für mehr oder minder lange Pausen haben u. ich schoepfe die Hoffnung, daß der „moriturus“ kein „moribundus“ sei. Hoffentlich wird das Frühjahr u. vollendet auch die Gebräuche von Kohlensaurenbaden mit deren energischen Effekten, die wissenschaftlich ganz dunkel sind, Besserung bringen.
Im Streben dem bedeutsamen Goethekenner u. Schaetzer eine Freude zu machena übersende ich Ihnen ein Widmungsexemplar der „Ruten- u. Pendellehre“, aus der Ihnen der Abschnitt § 19, in einer besseren Stunde Vergnügen machen wird.
Es ist mir mittels des Pendels gelungen, die Eigenfarbe der natürlich gefarbten Substanzen nachzuweisen, wie b sie Goethe behauptet hatte, aber || bei den berufsmaßigen Schul-Fachsimpeln kein Verstandniss u. keine Zustimmung fand. Lassen Sie sich die paar Seiten vorlesen, wenn das Lesen Sie anstrengt. Ich habe die Entdeckung der specifischen Farbenreaktion in Gegenwart unseres hervorragenden Graphirers (Eder) fast zufällig gemacht. Ich habe ihn nicht genannt, um ihm eine Bekenntniss der Wahrheit zu ersparen. Ich lebe im Bereiche des grossen wiener Possendichters Nestroy, der einmal c schrieb u. als Schauspieler sprach:
„Ich sage nicht so u. sage nicht so, dass man nicht sagen koenne, ich hatte so oder so gesagt.“ Er hat die Neigung zur Wahrheitsbekennung unserer Intellektuellen meisterhaft damit geschildert.
So schonend wie gegen Eder gehe ich gegen alle wiener Gelehrten vor, die ich überzeugt habe, die ich nicht vor die Initiative des || Bekennens stellen will.
Waere ich nicht ein „Reisekrüppel“ unwohl meines Hautleidens, wahrlich hatte den gewagten Versuch gemacht, Sie in Jena zu überfallen u. Ihnen diese Versuche u. andere ebenso überzeugende aus der Welt der Ruten- und Pendelphanomene vorzuführen.
Lassen Sie sich auch die §§ 48–50 vorlesen über Reschenbach in der Geschichte u. mein Verhaltniss zu ihm. In Frankreich ist er heute anerkannt, nachdem Franzosen zu gleichen Resultaten kamen, ohne vorher von Reschenbach etwas zu wissen.
Nun erlauben Sie mir, meine Stirne zu runzeln, und ein strenges arztliches Verbot an Sie zu richten. Meiden Sie nachhaltigst jede physische u. geistige Anstrengung und wenn || Sie den Drang fühlen, sich zu außern, so diktiren Sie in kurzen Satzen. Jede Qual, die Sie erdulden, stroemt als „Fernwirkung“ durch Mark u. Bein Ihrer Verehrer.
Zu diesen zahlt
sich Ihr
Pf. Benedikt
a eingef.: eine Freude zu machen; b gestr.: es; c gestr.: so