Ernst Wilhelm Benecke an Ernst Haeckel, Strassburg, 23. November 1885

Strassburg d. 23/11 85.

Hochgeehrter Herr College,

Ihre Anfrage vom 21. des Monats, welche heute in meine Hände gelangte, kann ich um so kürzer beantworten, als Sie einige Punkte welche sonst wohl zu erörtern wären, von vorn herein schon berühren und zwar in einem Sinne welcher mit meinen Anschauungen durchaus übereinstimmt. Ich meine vor allem die Sache der Richtung eines Docenten der sogenannten „mineralogischen“ Disciplinen für Jena. Vollkommen stimme ich mit Ihnen darin überein, daß von der speciellen krystallographischen Mineralogie abzusehen ist, indem diese mehr die Rolle einer Methode als einer Wissenschaft spielt und wenn sie wissenschaftlich wird in den Bereich der Physik und Chemie hinübergreift. Bedürfen diese Fächer eines Vertreters der messenden und rechnenden Krystallographie so ist es ihre Sache sich denselben zu stellen, nicht Sache einer Facultät, welche die Interessen der Gesamtheit im Auge zu halten hat. Sie werden also || eines allgemeinen Geologen bedürfen. Ein solcher könnte der petrographischen oder der stratigraphisch-paläontologischen Richtung angehören. Von ersterem sehe ich ab, da mir aus Ihrem Brief zu folgen scheint, daß man einen solchen für Ihre Verhältnisse nicht für geeignet hält. Der anderen Richtung gehören eine ganze Anzahl junger und Männer in mittleren Jahren an, welche für Sie in Frage kommen könnten. Ich muß zunächst einen nennen, welcher allerdings wegen seiner Vielseitigkeit eigentlich in keine Kategorie gebracht werden kann, das ist Prof. Eck von dem Stuttgarter Polytechnikum. Er hat mineralogisch und geologisch, auch paläontologisch gearbeitet, seine Specialität ist allerdings Stratigraphie. Seine geologischen Arbeiten (Karten) aus dem nördlichen Thüringen sind Ihnen vielleicht bekannt. Außerordentliche Genauigkeit und Reinlichkeit zeichnen seine Untersuchungen aus, seine Richtung, als aus der Berliner Schule hervorgegangener, ist aber im Ganzen doch eine mehr beschreibende. Weiter hätte ich Ihnen zu nennen Dr. Branco, Landesgeologe und Docent in Berlin. Er hat sich einen || Namen gemacht durch eine Arbeit über den lothringischen Neueren Jura (hier ausgeführt) und eine Untersuchung über die Entwicklung der Geschichte fossilen Cephalopoden. Er wirkt mit gutem Erfolge in Berlin als Docent. Gegen andere zeichnet er sich durch die Gleichmäßigkeit seiner geologischen und paläontologischen Bildung aus, im Großen und Ganzen liegt seine Stärke mehr in der Specialuntersuchung als in der Behandlung allgemeiner geologischer Probleme.

Schließlich möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf Dr Steinmann, Docent an hiesiger Universität und Assistent an dem mir unterstellten Institute lenken. Es kommt mir schwer an und kann Mißdeutungen unterliegen, wenn ich in diesem Falle mit dem Lobe freigebig bin. Doch kann ich durchaus nach mehrjähriger eigener Erfahrung urtheilen und weiß, daß ich mit meiner Ansicht nicht allein stehe. Dr. Steinmann besitzt ein ausgedehntes geologisches und paläontologisches Wissen, er steht auf ganz allgemeiner geologischer Basis, hat in Deutschland und den angrenzenden Ländern viel gesehen und zuletzt noch auf || einer zweijährigen Reise in Südamerika seine Anschauungen sehr erweitert. Besonders ausgebreitete Kenntnisse besitzt er in der Paläontologie der niederen Thiere und der Cephalopoden, ferner ist er sehr gut orientirt in der Paläophytologie und hat sich stratigraphisch mit Jura- und Kreideschichtenformation beschäftigt. Seine, für seine Jugend zahlreichen Publikationen haben zum Gegenstand fossile Spongien, Kalkalgen, Ammoniten u. s. w. Er ist auch wesentlich betheiligt an der Aufnahme einer [im] Druck befindlichen geologischen Karte Deutschlothringens. Als Docent hat er nach verschiedenen Richtungen guten Erfolg gehabt, er leitet paläontologische Uebungen im hiesigen Institut, unterrichtet die Studenten im Felde und ist bei seinen Schülern, auf welche er in hohem Grade anregend wirkt, außerordentlich beliebt. Worauf ich aber besonders Gewicht lege ist, daß D. Steinmann ein durchaus selbstgemachter Mann ist. Von Haus aus ohne Mittel hat er sich selbst zu dem gemacht, was er ist, er findet selbst seine Themata zum Arbeiten und weiß aus denselben etwas zu machen. Er reist nicht nur, sondern sieht etwas auf seinen Reisen. Etwas mehr Ruhe und Besonnenheit mag er noch gewinnen, etwas mehr Ferne nach jeder Richtung kann nicht schaden – allein er ist ein Mann aus dem nach menschlicher Berechnung etwas tüchtiges wird. Sein frisches Wesen und seine Unverwüstlichkeit machen ihn zu einer Persönlichkeit „die jeder gern hat“. Ich glaube ihn als tüchtigen und allseitig anregender Docenten durchaus empfelen zu können.a

Es soll mich freuen, hochgeehrter Herr College, wenn meine Mittheilungen geeignet sein sollten Ihnen Anhaltspunkte für Ihre Entschlüsse zu bieten.

Ihr hochachtungsvoll

ergebener

Beneckeb

a Text ("ist ein Mann […] empfehlen zu können.") vertikal am Rand von Seite 4 b Schlußworte kopfüber auf S. 4 nachgetragen

Brief Metadaten

ID
7280
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsland aktuell
Frankreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Altes Reich
Datierung
23.11.1885
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
22,8 x 29,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7280
Zitiervorlage
Benecke, Ernst Wilhelm an Haeckel, Ernst; Strassburg (Strasbourg); 23.11.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7280