Bender, Hedwig

Hedwig Bender an Ernst Haeckel, Eisenach, 20. September 1905

Eisenach 20/9 05

Karthäuserstr. 31.

Sehr geehrter Herr Professor!

Ich muß Ihnen doch noch einmal schreiben, muß Ihnen danken, daß Sie zu mir kamen, Ihnen sagen, wie mich das gefreut hat wie sehr ich aber bedauert habe, daß mir durch die Ungunst der Verhältnisse, durch den neidischen Zufall – der ja freilich auch zur „ewigen Nothwendigkeit des Geschehens“ gehörte! – das kurze Zusammensein mit Ihnen so sehra beeinträchtigt wurde. Wie vieles hätte ich noch mit Ihnen – gerade || mit Ihnen! besprechen mögen – u. ich glaube, manches was ich hätte sagen können, würde auch für Sie Interesse gehabt haben, da ich ja doch für die gleiche Sache kämpfe, der Sie in erster Reihe Ihre Lebensarbeit geweiht haben, u. Ihnen (wie auch mir) diese Sache über alles geht: Der Sache des Monismus, der Alleinheitslehre, der ich aus innerster tiefster Überzeugung anhänge u. die ich, wenn mir Zeit u. Kraft bleibt, später noch von neuen Gesichtspunkten aus, u. zwarb gerade mit Hilfe der Erkenntnistheorie – gerade in konsequenter Verfolgung des Weges, den Kant uns || gewiesen hat – überzeugend begründen zu können hoffe. Es war zu schade, daß wir gar nicht zu einer etwas eingehenderen Erörterung kommen u. sehr bedauerlich für mich, daß die mir ganz fremde (übrigens sehr liebenswürdige!) Dame, gerade an dem Tage auf den Gedanken verfallen mußte, mich aufzusuchen, was sie aber so gut an jedem beliebigen andern thun konnte! –

Doch ich will nicht undankbar sein sondern mich lieber auch unserer flüchtigen Begegnung freuen, die mir bewies, daß Sie mich noch nicht ganz vergessen hatten, ob-||wohl Sie schwerlich etwas andres von mir wissen u. kennen als das bescheidene Kram, das ich Ihnen seinerzeit nach der Lektüre Ihrer „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ schickte. Oder sollten Sie vielleicht zufällig meinen Aufsatz über G. Bruno in Westermann Monatsheften gelesen haben? Das würde mich freuen!c . Und ich will die Hoffnung nicht aufgeben, daß Ihr: Auf Wiedersehen! das Sie mir beim Abschied zuriefen, doch noch einmal in Erfüllung geht! Jena ist ja von uns nicht so weit – u. wenn ich auch in absehbarer Zeit schwerlich hinkommen werde, da ich so sehr gebunden bin u. meine armed liebe Mama nicht veranlassen kann, so hoffe ich doch, daß mein guter Stern Sie recht bald einmal wieder nach Eisenach führt u. daß Sie dann nicht bei uns vorbeigehen werden!! – Oder ist diese Hoff-||nung allzu unbescheiden?! Wenn Sie wüßten, welch große Freude ein Besuch von Ihnen mir bereitet, dann würden Sie mir gewiß wegen dieses Ansinnens nicht zürnen! – Sehr schmerzlich u. peinlich war es mir, daß Sie meine arme liebe Mama in diesem Zustand kennenlernen mußten. Wenn Sie wüßten, wie Sie früher war! So frisch, so voller Geist u. Leben! Aber nachdeme sie vor 2½ Jahren einen leichten Schlaganfall hatte, ist diese betrübliche Veränderung mit ihr vorgegangen. Und das || Traurigste für sie selber ist, daß sei das weiß u. sich ihres Zustands völlig bewußt ist, denn ihr Geist ist ganz klar geblieben, nur die Herrschaft über die Sprache ist ihr in weitgehendem Maße verloren gegangen – u. zwar nicht durch eine Lähmung der Sprachwerkzeuge, sondern dadurch, daß die Verbindung zwischen Begriffen u. Worten vielfach gestört oder ganz unterbrochen ist. So kommt es, daß sie in zahllosen Fällen zwar ganz genau weiß, was sie sagen willf, aber ganz falsche Worte gebraucht u. so in Wirklichkeit oft etwas ganz andres sagt als sie || meint. Dadurch ist ihr der Verkehr mit Menschen nahezu völlig abgeschnitten. Eine Störung nicht des Denk-Centrums wohl aber des Sprach-Centrums wie der Arzt mir sagte u. für die Ärmste ein wahrhaftg tragisches Schicksal! – Und das alles vermuthlich die Wirkung eines einzigen Bluttröpfchens, das ins Gehirn gedrungen! Und da zweifeln die Menschen noch, daß Geist u. Körper h thatsächlich Eins sind!!

Verzeihen Sie diese Abschweifung aufs persönliche Gebiet – sie sollte Ihnen nur zur Erklärung dienen!

Und nun leben Sie wohl – || haben Sie noch einmal vielen Dank u. lassen Sie mich noch einmal sagen: Auf Wiedersehn!

Mit der Bitte, mich Ihrem Herrn Assistenten zu empfehlen

in aufrichtiger Verehrung

Ihre

Hedwig Bender

a eingef.: so sehr; b eingef.: u. zwar; c am Seitenrand von S. 4, mit Einführungszeichen: Oder sollten … mich freuen!; d eingef.: arme; e gestr.: seit; eingef.: nachdem; f eingef.: will; g eingef.: wahrhaft; h gestr.: in

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.09.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7276
ID
7276