Hedwig Bender an Ernst Haeckel, Eisenach, 1. Januar 1898

Eisenach 1/1 98.

Kapellenstr. 8.

Hochverehrter Herr Professor!

Ihre liebenswürdige Sendung war mir ein freundlicher Abschiedsgruß des scheidenden Jahres! Haben Sie herzlichen Dank für alles! Und zürnen Sie mir nicht, sondern schreiben Sie es Ihrem eigenen liebenswürdigen Entgegenkommen zua, wenn ich mir erlaube, Ihnen noch dieb beifolgende Schrift zu übersenden. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie Zeit fänden, sie durchzulesen u. wenn meine Ausführungen im Wesentlichen Ihren Beifall fänden. Wenn ich mich dieser Hoffnung hingebe, so geschieht es, weil ich ja auch gleich Ihnen eine innig überzeugte, ja begeisterte Anhängerin der einheitlichen Weltanschauung bin u. es seit lange als meine Aufgabe || ansehe, nach Kräften an Ihrer Verbreitung u. wissenschaftlichen Begründung zu arbeiten. Die Freude an der strengen u. ausnahmslosen Gesetzmäßigkeit u. die Abneigung gegen alles vermeintlich Übernatürliche u. Wunderbare, die mir gleichsam im Blute lag, hat mich verhältnismäßig frühe zu einer überzeugten Anhängerin Spinoza’s gemacht in dem Grade, daß, als ich zum ersten Male von Darwin u. seiner Lehre hörte, mir diese so selbstverständlich erschien, daß ich nicht begriff, wie irgend ein denkender Mensch an ihrer Wahrheit zweifeln könne. Wie ich mit Spinoza gegen die Freiheit des Willens Parthei nahm u. gegen die Lehre einer besonderen immateriellen Seelensubstanz, so in der Naturwissenschaft gegen die Lehre c der Lebenskraft u. für die Entstehung des Organischen aus dem Unorganischen u. || die Entwickelung aller höheren Organismen aus den niederen. Die Thatsächlichkeit der Urzeugung stand mir vom ersten Augenblick an so fest wie die Wahrheit der Darwinschen Selektions- u. Abstammungslehre. In allen diesen Fällen war es meine felsenfeste Überzeugung von der ausnahmslosen Gültigkeit des Kausalgesetzes u. von der absoluten Unmöglichkeit des Wunders, die meine Stellungnahme ohne Weiteres bestimmte. – Da ich zu allen diesen Anschauungen ganz aus mir selbst u. ohne jede Anregung von seiten meiner ganz anders gesinnten Umgebung gekommen war, so können Sie ermessen, welche Genugthuung es mir gewährte, als ich Sie auf der hiesigen Naturforscher-Versammlung in Ihrem herrlichen Vortrage über „Darwin, Goethe u. Lamarck“ alle diese meine heilig-||sten Überzeugungen mit solcher Entschiedenheit u. in so klarer, eindringlicher u. überzeugender Weise entwickeln u. vertreten hörte. Ich war ganz begeistert damals, zumal ich, wie ich eigentlich kaum noch zu erwähnen brauche, mich zu den Goethe-Enthusiasten im ausgesprochensten Sinne gehöre. Als ich später Ihren „Monismus als Band zwischen Religion u. Naturwissenschaft“ las, wurde dieser Eindruck nur noch vertieft u. gefestigt. Ihre „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ konnte ich leider damalsd nicht habhaft werden – nun führte sie mir ein glückliches Ungefähr in den Weg u. da faßte ich mir das Herz, Ihnen meinen „Weihnachtsgruß“ zu senden. – Wozu ich Ihnen das alles schreibe?! Um meinee Kühnheit zu entschuldigen u. Sie womöglich ein wenig für die beifolgende Schrift, die für die Nothwen- || digkeit eines einmüthigen Zusammenwirkens von Philosophie u. Naturwissenschaft eintritt, zu interessieren, dient sie doch derselben großen Sache, der auch Sie Ihre Lebensarbeit gewidmet haben. Diese Schrift ist freilich nur eine Art von Präludium – der hoffentlich ein größeres Werk nachfolgen wird – daß Sie in ihr aber keine bloße Dillettanten-Arbeit vor sich haben, davon mag Sie im voraus die Thatsache überzeugen, daß ich mehrfach Beiträge für die Haller „Zeitschrift für Philosophie u. philosophische Kritik“ geliefert habe. (Das nur zur Kenntnisnahme, um Ihre etwaigen Vorurtheile gegen die Arbeit einer Dame zu zerstören u. Sie, wenn möglich zur Lektüre meiner Schrift zu veranlassen!) –

Ihren schönen Nachruf für Fritz || Müller habe ich mit lebhaftem Interesse gelesen u. mit Ihnen aufs Tiefste bedauert, daß eine solche Kraft aus solchem Grunde dem Vaterlande so früh verloren gehen mußte. Für Ihre schönen Blätter aus Ceylon noch meinen besonderen Dank; ich habe Ihre indischen Reisebriefe seinerzeit mit großem Genusse gelesen.

Und nun lassen Sie mich mit einem herzlichen Glückwunsch schließen u. mit dem Ausdruck der Hoffnung (als Glückwunsch für mich!) daß das neue Jahr mir ein erneutes Zeichen Ihrer wohlwollenden u. ermuthigenden Theilnahme bringe!

In warmer Verehrung

Ihre

Hedwig Bender.

a eingef.: zu; b eingef.: die; c gestr.: von; d eingef.: damals; e eingef.: meine;

Brief Metadaten

ID
7271
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
01.01.1898
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
4
Format
11,5 x 18,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7271
Zitiervorlage
Bender, Hedwig an Haeckel, Ernst; Eisenach; 01.01.1898; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7271