Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 9. Februar 1918

Zürich, dℓ. 9. Februar 1918.

Hochverehrter Herr Kollege,

Lieber u. treuer Freund!

Empfangen Sie zunächst meinen tiefgefühlten Dank für Ihren reizenden Brief, worin Sie mir zu meinem 70. Geburtstag gratulieren, ebenso für die prächtige Photographie, die Sie für mein Riesen-Album gestiftet haben u. die in der Reihenfolge Nro 1 einnimmt. An dem wirklich sehr gelungenen Festcommers hat die Verlesung Ihres Briefes allgemeinen Jubel u. Beifall hervorgerufen. Das Album ist ein Kunstwerk ersten Ranges: Landschaftsscene am Roten Meer, mit Characterformen der Meeresfauna, oben Gruppen von altaegyptischen Rindern || und assyrischen Pferden mit prachtvoll ausgeführtem Ziegenschädel.

Sehr gefreut hat es mich, dass das Ausland, besonders Deutschland und Österreich mir so zahlreiche Sympathien bewiesen haben. Ueber den Commers selbst sind Sie wohl durch die Neue Zürcher Zeitung unterrichtet, die ich an Ihre Adresse abgehen liess.

Und nun haben Sie in den nächsten Tagen ja auch Ihre Geburtstagsfeier. Es ist der 84. Geburtstag – fürwahr ein respectables Alter.

Ich entbiete Ihnen die allerherzlichsten Glückwünsche zu demselben u. hoffe, dass Ihr Lebensabend sich aufs angenehmste gestalte.

Sie schreiben freilich, dass Ihr Herz || nicht mehr ordentlich arbeiten will. Nun – ein Herz, das eben über 80 Jahre hindurch für alles Hohe und Edle geschlagen hat, wird schliesslich auch etwas müde. Möge es immerhin weiter schlagen, Sie können immerhin mit seiner früheren Leistung zufrieden sein. Sie hatten ja das Glück, das unbezahlbare Glück, dass Ihre schönste Lebensphase in eine ungewöhnlich grosse Zeit fiel, in der Sie selbst zur vollen Grösse sich entwickeln durften. Ich fürchte, dass diese große Zeit zunächst vorbei ist u. nicht so bald wiederkommt. Das arme Europa liegt am Boden, ob es sich nach dieser ungeheuren Energieausgabe wieder aufrichten kann, wissen die Götter.

Aber in einem Punkt dürfen Sie doch beruhigt in die Zukunft sehen – es ist nicht gelungen, Ihr grosses Deutschland niederzuringen! || Die Lage war zwar 1916 noch sehr kritisch – heute beherrscht Deutschland die Situation und an dieser günstigen Sachlage wird auch das grossmäulige Amerika nichts mehr ändern.

Deutschland wird sich wieder erholen und in Zukunft in Europa den Ton angeben.

Das merken sogar unsere welschen Schweizer, die auf einmal die Deutschschweizer liebenswürdiger behandeln und nicht mehr von „boche“ reden, ja sogar unverhohlen Sympathien für Deutschland anfangen zu hegen. Das ist sehr überraschend.

Blicken wir also hoffnungsvoll in die Zukunft und hoffen wir, dass Sie wenigstens noch den ersten Schritt zur Wiedergeburt Europas erleben.

Ich verbleibe mit herzlichsten Grüssen in alter Freundschaft

Ihr ergebenster

C. Keller

Brief Metadaten

ID
6791
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
09.02.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 21,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6791
Zitiervorlage
Keller, Conrad an Haeckel, Ernst; Zürich; 09.02.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6791