Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 15. Januar 1889

Zürich, dℓ. 15. Januar 1889.

Verehrtester Herr Professor!

Die Buchhandlung überbrachte mir gestern ein Paquet, das sich bei näherem Zusehen als ein kostbares Neujahrsgeschenk aus Ihrer gütigen Hand erwies – Ihr prächtiges Siphonophorenwerk, das mich überraschte.

Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für dieses so freundliche Zeichen der Erinnerung.

Die Medusen – die Radiolarien – u. nunmehr die Siphonophoren sind 3 Zierden des klassischen Challengerwerkes, auf welche Sie nun wohl mit Befriedigung u. Vergnügen hinblicken können. Denn Genuss müssen Ihnen diese Arbeiten gewährt haben, da Sie ja just die schönsten und dankbarsten Gruppen auswählen konnten. Ich hoffe in einiger Zeit soweit zu sein, um Ihnen alsdann den guten Willen einer bescheidenen Gegenleistung zeigen zu können. ||

Ich hoffe in diesem Jahre mit meiner Monographie abschliessen zu können. Die meisten Tafeln sind fertig, der Text für den speciellen Theil bis auf 2 kleinere Gruppen auch.

Ich wollte erst die monographischen Arbeiten von Ridley, Sollas und Lendenfeld abwarten.

Dann muss das reiche Material der Vettor Pisani Expedition fertig gestellt werden, von Madagascar sind auch noch schöne Sachen da. Leider verlangen diese Dinge Zeit u. ich bin dieses Semester etwas stark mit Vorlesungen in Anspruch genommen, da ich am Polytechnikum eine neue Vorlesung übernehmen musste.

Doch habe ich wenigstens Gelder für das Laboratorium.

Ich muss darauf hinarbeiten, in Bälde ein ausreichendes zoologisches Institut zu erlangen.

Es ist dies nur auf dem Boden der schweizerischen Eidgenossenschaft möglich. Die Kantonale Universität hat keine Mittel, zudem bekommen wir in der Schweiz eine lächerliche Hypertrophie an Universitäten, die zum Herabsinken auf die Stufe || der Mittelmäßigkeit führt. Wenn nächstens noch die ultramontane Hochschule in Freiburg ins Leben tritt, so haben wir nachgerade an jeder grösseren Eisenbahnstation eine Universität. Die Anstalten wollen nun die Mutter Helvetia anpumpen, aber diese zeigt wenig Gegenliebe.

In Zürich herrscht zudem an der Universität eine gewaltthätige Philologenrasse u. diese hat nun mit ihrem kleinlichen u. reactionären Geist die Naturwissenschaften glücklich verfuhrwerkt. So kann man also nur auf dem freieren Boden des Bundes schöpferisch vorgehen. Aber damit für theoretische Zwecke genügend Gelder fliessen, muss ich die Wissenschaft auch mit der Praxis vermitteln.

Neben den vielen Arbeiten habe ich mich auf die für uns so brennende Phylloxerafrage werfen müssen. Der Bundesrath hat in Frankreich mir erneute Untersuchungen übertragen u. keine Kosten gespart.

Die erzielten Resultate haben mich höchst überrascht, doch darf ich noch nichts publiciren.

Die hiesigen Fachkreise sehen aufgrund meiner Präparate die Schwierigkeit als gelöst an || u. sind sehr optimistisch.

Ich glaube trotz allem Skepticismus, dass wir doch vor grösseren Ereignissen stehen u. wage zu hoffen, dass die Zoologie einen Erfolg erlangt, von dem sich die Praxis den grössten Nutzen versprechen kann.

Es sind bereits für nächsten Sommer grosse Versuche angeordnet. So habe ich gerade soviel auf den Schultern, als ich zu tragen vermag.

Bitte Sie mir Arnold Lang gelegentlich zu grüssen.

Eine gründliche Bearbeitung der vergleichenden Anatomie, welche er unternommen, ist ein verdienstliches Unternehmen u. ich zweifle nicht, dass er damit Glück macht.

Empfangen Sie zum Schlusse nochmals meinen besten Dank u. gleichzeitig meine besten Wünsche für dieses neue Jahr.

Ich verbleibe mit herzlichen Grüssen stetsfort

Ihr ergebenster

C. Keller

Brief Metadaten

ID
6766
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
15.01.1889
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,6 x 20,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6766
Zitiervorlage
Keller, Conrad an Haeckel, Ernst; Zürich; 15.01.1889; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6766