Dresden 21, Tolkewitzer Str. 17
(Villa Helfried) 30. VIII. [1910]
Hochverehrter und werter Herr Professor!
Es hat mich außerordentlich betrübt, von Ihnen so wenig erfreuliche Nachrichten über Ihr Befinden zu hören, wie es uns tief gerührt und gefreut hat, daß Sie uns trotz Ihrer Schmerzen einen so langen und lieben Brief zukommen ließen. Vielen Dank! – Ich sende Ihnen || den Ausschnitt vom 9. Aug., der Ihrem Schreiben beilag, zurück.
Wenn Sie übrigens nichts dagegen haben sollten, daß die Nachrichten über Ihr momentanes Befinden, die Sie mir im Briefe machten, Gemeingut aller der Menschen würden, die sich um Sie besorgen, so wäre es mir ein Leichtes auch für Veröffentlichung dieser jüngstena Nachricht aus Ihrer eigenen Hand in einer namhaften Zeitung Sorge zu tragen. Ich würde event. es selbst veranlassen können oder Ihr Schreiben dem Archiv der Richard Wagnergesellschaft für Kultur einige || Tage zur Verfügung stellen. Sehr gern möchte ich das im Interesse aller Haeckelianer tun und in Ihrem Nichtentgegnen, wenn Sie so wollen, Ihr Einvernehmen sehen. Denn Sie schreiben jetzt sicher ungern, und so würde eine neue Veröffentlichung nach nunmehr bald 4 Wochen Ihnen vielleicht auch manche Antwort auf viele Fragen sparen.
Wissen Sie, daß Ihr Brief auch schon Wert für Erkenntnis Ihrer geistigen Physiognomie hat? Wenn Sie ganz unauffällig darauf kommen, daß auch in der Aristokratie für Verbreitung der monistischen Ideen gewirkt werden müsse, so offenbart sich hierin die sich bei keiner Gelegenheit verleugnende Energie eines Mannes, der sich bewußt ist, daß || sein Lebenswerk nicht von bloß wissenschaftlicher, sondern von kultureller Tragweite für das Volk ist und alle seine Vertreter. „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“ hierin sind sich Giordano Bruno und Nietzsche und Sie und alle wir Ketzer mit unseren nazarenischen Antipoden einig. Aber freilich nur in diesem Drang.
Wollen Sie mir bezüglich meiner Anfrage noch eine Zeile zukommen lassen, so ist es noch schöner. Denn jeder Gruß von Ihnen – am meisten aber ein fröhlicherer – erfreut aufs tiefste
Ihren Otto Borngräber
und Ihre Sie verehrende Gerda Borngräber.
a gestr.: letzten; eingef.: jüngsten; b egh. Zusatz von Gerda Borngräber: und Ihre … Börngräber.