Otto Borngräber an Ernst Haeckel, [Berlin], 3. April 1904
z. Z. Wilmersdorf., 3. 4. [1904]
Hochverehrter Herr Professor!
Erst gestern erfuhr ich Ihre Adresse, und es sollen Ihnen nun gleich die Preßstimmen über die Haeckel-Feier zugehen, ich bat den Leiter der Wagner-Gesellschaft, in deren Archiv sie liegen, darum.
Sie ersehen daraus den großen Erfolg und den ungemeinen Beifall, den die Feier fand. Mir persönlich war sie zwar im ersten Teila nicht monistisch genug, da ja Graf von Honsbroech, der die Festrede auf Vorschlag des Brunobundes hielt, sich auf theistischen Boden stellt. Aber es war nicht zu ändern, da Bölsche wegen seines Halses durchaus nicht konnte und Wille freireligiösen Gottesdienst hatte, Jul. Hart nicht frei reden kann. Sie sehen jedoch, daß auch Honsbroech ganz in Ihrem Sinne sprach, sofern er im allge||meinen machtvoll für die Geistesfreiheit eintrat und Sie als deren edlen Vertreter feierte. Man kann Hoensbroechs Rede von diesem Gesichtspunkt aus nur rühmen. Im übrigen aber wurde in den Musik- und Poesie-Darbietungen (Coriolan, Walküre, Weltweben, Meistersinger – „Prometheus“, „Giordano Bruno“) sowohl der freiheitliche wie der monistische Grundton hervorgekehrt.
Daß kein vollständiges Bild von dem Mann der Wissenschaft entrollt werden konnte – dieser event. Vorwurf träfe uns nicht, denn unsere R. Wagner-Gesellschaft verfolgt lediglich künstlerisch-religiöse Ziele, zu denen die Marksteine der Wissenschaft nur Wegweiser und Zielführer sind.
Auch der Gedanke der „Haeckelstiftung“ zur Förderung monistischer Religion fand schon viel Anklang. Da wir natürlich viel Auslagen wegen des Festes hatten, so blieb vorläufig nur, wie mir die Leitung mittheilt, ein Gewinn von || M. 80. Nun aber hat Isidora Duncan nicht mitgewirkt, da vielleicht der Tanz doch in den Augen der weniger Tiefen aus dem Rahmen unserer ernsten Feier gefallen wäre. Sie hat jedoch versprochen, in einer besonderen Veranstaltung Ihnen zu Ehren zu tanzen, falls Sie ihr und uns die Ehre erwiesen, dem Feste beizuwohnen und der volle Gewinn dieser Veranstaltung sollte dann den größeren Grundfonds für die Haeckel-Stiftung bilden, wobei es sich um einen Eingang von 3–4000 M. handelt, den ein Duncan-Abend gut zeitigt. Daher ersucht mich die R. Wagner-Gesellschaft, ich möchte Ihnen doch nahelegen, nach Ihrer Rückkehr ja sich doch einmal einen Nachmittag und Abend für Berlin freizumachen. Auch die Duncan wäre überglücklich in dem Bewußtsein, vor Ihnen tanzen zu dürfen. Indem Sie so die schönsten Kunst||formen der Natur in Gestalt der menschlichen Glieder in geradezu klassischer Bewegung sähen, lohnte sich gewiß die kurze Reise von Jena bis Berlin –; denn in Jena gäbe es keinen stimmunggemäßen Musiksaal. Wieviel mehr lohnt es sich, wenn Sie gleichzeitig durch Ihr bloßes Erscheinen die Möglichkeit für einen größeren Anfang der Haeckelstiftung geben. Indem Sie dadurch der uns alle verbundenen Religion dienen würden, spreche auch ich hiermit die ergebene Bitte aus, daß Sie dann kommen möchten.
Ihr
Sie verehrender
Otto Borngräber.
a eingef.: im ersten Teil