Borngräber, Otto

Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Berlin, 9. Februar 1904

Richard Wagner-Gesellschaft für dramatische Kunst und Kultur.

[Akademische Bühnenspiele zur Hebung germanischer Kunst und Kultur.]

(1. Aufführung Winter 1903/4: Borngräbers „Giordano Bruno“.)

EHRENRAT: Ludw. Barnay, Privatdoc. Lic. Dr. Beth, Ferd. Bonn, Rud. Christians, Emmy Destinn, Louise Dumont, Prof. Dr. Dütschke, Präsident der Akademie der Künste Geh. Regierungsrat Prof. Ende, Fidus, K. E. Franzos, Teresina Gessner, Kgl. Hofschauspieldir. a.D. Fr. Haase, Graf. v. Hoensbroech, Theod. Kappstein, Gust. Kober, Art. Kraussneck, Prof. Max Liebermann, Dr. Ed. Lowewenthal, Emil Loezius, Harro Magnussen, Adalb. Matkowsky, Ernst Edler von der Planitz, Eman. Reicher, Prof. D. Dr. Geo Runze, Otto Sommerstorff, Wilh. Spohr, Dr. Rud. Steiner, Art. Vollmer, Felix Weingartner, Dr. Bruno Wille – Berlin, Theaterdir. Beck, Dr. Paul Holzhausen – Bonn, Konsul Prof. Baron Locella, Paul Wiecke – Dresden, Dr. Ludw. Saloon, Ernst Scherenberg – Elberfeld, Intendant des Schauspiels Emil Claar – Frankfurt a.M., Theaterdir. Richards – Halle, Gertrud Giers, Dr. Rich. Hamel, Dr. Adalb. v. Hanstein, Theaterdir. Rudolph – Hannover, Arthur Ritter v. Wallpach zu Schwanenfeld – Innsbruck, Prof. Dr. Ernst Haeckel, Dr. Timon Schroeter, Dr. Herm. Türck – Jena, Prof. Dr. Lehmann-Hohenberg – Kiel, Redakteur Gust. Delpy, Frau Prof. Lina Schneider – Köln, Prof. Dr. Aug. Forel – Lausanne, Theod. Fritsch, Prof. Max Klinger, Museumsdirektor Prof. Dr. Theod. Schreiber, Theaterdir. Geh. Hofrat Staegemann, Prof. Dr. G. Witkowski – Leipzig, Freiherr vv. Zucco u. Coccagna – Mainz, Prof. Gabriel v. Max – München, Hofrath Prof. Dr. Beyer, Theaterdir. Deutschinger, Geh. Justizrat Ludwig Passarge – Wiesbaden, Prof. Dr. Arnold Dodel – Zürich.

DIREKTOR: Curt L. Walter, Intendant der „Akademischen Bühnenspiele.“

DRAMATURG: Otto Borngräber.

KAPELLMEISTER: Kgl. Musikdir. N. Przywarski.

SYNDIKUS: Rechtsanwalt Victor Fraenkl.

GESCHÄFTSAMT: Tempelkunst-Verlag, Dt. Wilmersdorf bei Berlin, Pfalzburger Str 26a.

ORGAN: Tempelkunst-Jahrbuch.

ZIEL: Freie Akademie für die redenden Künste und Pangermanisches Nationaltheater.a

z. Z. Berlin-Wilmersdorf, Pfalzburgerstr. 26a, d. 9. II. 4.

Verehrter und lieber Herr Professor!

Anläßlich Ihres 70. Geburtstages ist es mein und unserer Gesellschaft* sehnlichster Wunsch und eifriges Streben, eine „Ernst Haeckel-Weihefeier“ großen Stils in unserm größten Theater, dem „Theater des Westens“, zu veranstalten. Es liegt in meiner Auffassung, der Feier das erhabene Gepräge etwa eines religiösen Weiheakts kommender Jahrhunderte zu verleihen; daher soll die Feier auch Sonntags Vormittags (an dem auf den 16. folgenden Sonntag) statt||finden und weniger wissenschaftlichen, universitätsmäßigen, sondern mehr religiös-künstlerischen Charakter haben. Wir hoffen zwar, für die mehr wissenschaftliche Festrede Wilh. Bölsche zu gewinnen; vielleicht werden auch event. Graf v. Hoensbroech und Professor Förster von der „Ethischen Kultur“ kurze Ansprachen halten. Wir fragen jedoch erst an, ob Sie etwa gegen diese Herren etwas einzuwenden hätten, da sie ja nicht ganz mit Ihnen gehen.

Vor allem soll jedoch die Kunst vertreten sein, und zwar alle Kunst: Musik, Poesie, Malerei, Bildhauerei, – Orchestrik, soweit diese Künste auf monistischem Grunde stehen. Es soll eben gerade die von der Darwin-Haeckelschen Lehre ausgehende Wellenbewegung, wie sie sich auf alle Künste erstreckt, um schließlich in der großen Religion zu münden, zum Bewußtsein gebracht werden. Die vornehmsten Künstler sollen hier beitragen und haben z.T. schon zugesagt. Magnussen versprach die Haeckel-Büste, Fidus-Werke (soweit sie noch nicht mystizistisch!) sollen zur Ausstellung kommen, Musik aus „Siegfried“ (das durchaus pantheistische „Waldweben“) soll einleiten und wird schon vom Kgl. Musikdirektor Przywarski geübt; vielleicht gibt auch mein Theaterverleger für Matkowsky (der die Sache später spielen will) die Vorlesung der Kerkerszene aus „Giordano Bruno“ frei, zumal der Brunobund, der sich mit uns vereinigte, bei diesem Feste dem Todestage Brunos genügen möchte. Ist Ihnen diese Scene lieb oder eine andere lieber? Oder wünschen Sie, daß man „Giorano Bruno“ ganz fortlasse? Der Leiter der Gesellschaft möchte ihn sehr gern, und zwar geradeb diese zwar sehr tragische Scene; die ja freilich den triumphierenden Ausblick eröffnet.

Und nun die Hauptfrage. Da ist Isadora Duncan! Ich weiß nicht, ob Sie sie tanzen sahen und muß daher vielleicht ausführlicher schreiben. || Aber auch wenn Sie nur eine ihrer Schriften lasen („Tanz der Zukunft“), so werden Sie wissen, daß sie ihre ganze erhabene Auffassung von der Tanzkunst auf Darwin und Haeckel stützt, die sie ihre lieben Meister nennt, denen sie ihre ganze Kunst danke, daß sie nicht etwa mit Ballettänzerinnen zu vergleichen ist, sondern gerade dem unnatürlichen und unsittlichen Ballet gegenüber die Schönheit und Sittlichkeit im Tanze wiederschafft, daß in nichts der wunderbare Pantheismus der Griechenwelt so harmonisch, so rein und voll zum Ausdruck kommt als in Miss Duncans Orchestrik. Und darum möchte ich und möchten wir alle so ungemein gern Ihre Mitwirkung. Wenn es Ihnen nicht zuwider ist – und wir dürfen annehmen, daß es nicht der Fall – so schreiben Sie mir doch bitte, daß Sie nichts dagegen hätten, oder – wenn Sie ein wunderbares und dankbares Menschenkind beglücken wollen – so schreiben Sie mir vielmehr, daß Sie sich herzlich freuen würden, wenn auch sie unser Fest mit einem Naturtanz vervollständigte, damit alle monistischen Künste vertreten seien. Sie haben keine Ahnung, welches Glück Sie damit in dieser naiv-edlen Menschenseele stiften, wenn ich ihr das sagen könnte. Denn sie hängt an nichts mit so schwärmerischer Verehrung als an Ihnen. 3 Stunden lief sie täglich von Kensington nach London ins British Museum, um Sie zu lesen, da sie zu arm war, die Werke zu schaffen. Sie hatte keine Religion und war verzweifelt, und – als sie Ihre „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ gelesen, da, sagt sie, hatte sie Religion und war glücklich. Sie wollte Ihnen einmal einen langen Brief schicken, aber, sie sagt, sie wagte es nicht – dann hat sie ihn verbrannt. Sie sagt, || sie würde gern nach Jena fahren, nur um vor Ihnen zu tanzen. Wenn sie nun wenigstens zur Feier und Vervollständigung Ihres Weihefestes tanzte! Das hängt nur von Ihnen ab, ob Sie das mit Freuden begrüßen würden. Und wir hoffen, dass es Ihnen zur Freude wäre.

Das genaue Programm kann ich Ihnen noch nicht mitteilen. Es häng eben viel vom letzten Punkte (Duncan) ab. Schon deshalb bitte ich Sie im Namen der Gesellschaft um freundlichst umgehende Antwort, womöglich per Eilbrief. Wir gehen gern auf all Ihre event. Vorschläge ein, nur nicht auf den event. Vorschlag vom Feste abzustehen, den, ich weiß, Ihre Bescheidenheit am liebsten machte. So etwas ginge auch kaum noch, da meines Wissens bereits Abmachungen mit dem Theater sind.

Der Reinertrag der Feier – Sie sehen, sie hat auch einen edlen universalen Zweck schon darum dürfen Sie sich nicht sträuben!c – wäre bestimmt für den Grundstock einer Ernst Haeckel-Stiftung zur Förderung monistischer Religion, deren Statuen und Detail-Zwecke ich natürlich so wenig wie die Gesellschaft heute schon ausführen kann. Übrigens würde auch dieser edle Zweck durch die Mitwirkung von Duncan, des jetzigen Sterns von Berlin, viel sicherer erreicht. Es gilt also auch hierin: nur Gott allein die Ehre, d.h. der Ausbreitung einer neuen Religion und Kultur. –

Über mich, meine neuesten Werke dramat. u. philos. Natur, einmal nach Ihrer Rückkehr. Ich sende Ihnen dann gelegentlich zu. „König. Friedwahn“ wird erst nach der Premiere veröffentlicht.

Um schnelle Antwort bittet und grüßt herzlich Ihr

Otto Borngräber.

* Die Gründe für die obige Umnennung derselben, welche dieser Tage erfolgte, werden Sie aus einer nächster Tage erscheinenden Schrift von Curt L. Walter „Prolegomena einer Freien Akademie für die redenden Künste und eines pangermanischen Nationaltheaters“ ersehen. Ich gehe darauf also nicht ein.d

a Vordruck: Richard Wagner-Gesellschaft … Pangermanisches Nationaltheater; b eingef.: gerade; c eingef.: schon darum … sträuben!; d Fußnote auf S. 1: * Die Gründe … nicht ein.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.02.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6414
ID
6414