Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Stendal, 8. August 1901
Stendal, Jacobikirchhof 10, d. 8. Augusta 1901.
Hochgeehrter Herr Professor!
Hiermit gestatte ich mir Ihnen das erste gebundene Exemplar der soeben erschienenen und bedeutend verbesserten 2. Aufl. des „Giordano Bruno“ zu verehren. (Gleichzeitig als Drucksache) Sie werden es mir nicht übel nehmen, daß ich sie diesmal nicht bei Strauß erscheinen ließ: denn Herr Strauß selbst riet mir in seiner hochherzigen Uneigennützigkeit davon ab, da die Interessen seines Verlages doch in der Hauptsache anderer, mehr wissenschaftlicher Art seien, und da für den buchhändlerischen Erfolg des Dramas ein mehr belletristischer Verlag doch geeigneter sei. So folgte ich denn, obzwar ungern, seinem eigenen Rate, zumal mir das gleiche von aller fachmännischen Seite ge-||raten wurde.
Es würde mich freuen, wenn Sie zu Beginn der Ferien Zeit fänden, das Drama in der durch die mannigfachen Aufführungen geklärten Gestalt nochmals zu lesen.
Daß ich in Halle trotz der Theologie einen gewaltigeren Erfolg hatte als in Leipzig, schrieb ich Ihnen wohl schon und versprach, Ihnen bei Gelegenheit die Kritiken zu schicken, da es Sie gewiß interessiert, welche Stellung die Theologenstadt zu dem Ihnen gewidmeten Werk nahm. Sie finden einen Abdruck dieser Berichte auf Seite 3 und 4 des vom Verleger dem Buche beigelegten „Bruno“-Prospektes – bis auf die vom Verleger nicht abgedruckte Kritik der conservativen „Halleschen Zeitung“. Wenn sie auch Ihnen und meiner Tendenz den Fehdehandschuh hinwirft (im übrigen zwar den künstlerischen Wert bestehen läßt), so lege ich Ihnen || doch auch diesen Bericht bei, da er Sie insbesondere interessieren wird.* Im allgemeinen sagte man mir, daß in Halle seit vielen Jahren kein Stück so einstimmig von der Presse begrüßt worden sei. – Einer der Rezensenten riet mir, ich sollte doch, aufgrund so vieler hervorragender Kritiken, auch die ersten Litteraturblätter, und auf Grund der Auszeichnung des Dramas durch den Smithpreis (1000 M) das Werk zur Mitbewerbung um den großen internationalen Litteraturpreis der Nobelstiftung einreichen lassen. Dadurch werde das Stück mit einem Schlage allbekannt, und die Bühnen würden dann auch die Schwierigkeiten nicht mehr scheuen, da das Interesse und der Erfolg von vornherein für die Rentierung bürge. Ich bin aus vielen Gründen zu diesem entscheidenden Schritte entschlossen, zumal wenn ich bedenke, daß für 1901 meines Wissens nur Rostands „Cyrano“ vorgeschlagen ist, d.h. eines gleichfalls || ganz jungen Dramatikers erstes größeres Werk, dessen lyrische Feinheiten ich wohl bewundere, dem man aber allgemein die Tiefe abspricht, die man doch „Bruno“ im allg. zugesteht. Hinzu kommt, daß mir bei Schaffung des „Bruno“ dasselbe Kunstideal vorschwebte wie Professor Tegnér – Lund, wenn er in seiner Rede bei Eröffnung der Nobelstiftung der Nüchternheit und Gedankenleere der bloßen Wirklichkeitsdichtung und ebenso der Unklarheit und Verschwommenheit des Symbolismus und Mystizismus strikt gegenübertrat, und wenn er dagegen die Hoffnung auf ein Streben nach Gedankengehalt, Gedankenklarheit und Formschönheit aussprach. Ganz dem entspricht nun das, was z.B.b der gediegene und scharfe Rudolf Steiner im „Magazin für Litteratur“ in 2 Aufsätzen über meine Richtung im „Bruno“ sagte. (cf. Auszug im Prospekt.) Wenn ich nun in dieser Richtung meinem gro-||ßen dramatischen Ideale: der Vereinigung von „Formenschönheit“ mit umfassendem klaren Gedankengehalt, womöglich mit weiten Weltanschauungsperspektiven im Geist des Fortschritts, unbeirrt weiterentgegenstreben möchte, so macht sich leider die entmutigende Wirkung geltend, daß unser an leichtere Kost gewöhntes Theaterpublikum, mithin die vom bloßen Kassenerfolg geleiteten Theaterdirektoren, solch ernster litterarischer Bestrebung zunächst nicht entgegenkommen, und der dramatische Schriftsteller kommt, in meinem Falle der Unbemitteltheit, in größte Gefahr, zwingender Verhältnisse halber vom großen Streben in die Alltagsschriftstellerei herabsinken zu müssen. Und um solcher Lage abzuhelfen und so das „ideale Streben“ aufrechtzuerhalten, stiftete ja gerade Nobel den Litteraturpreis. ** – Die einzige Schwierigkeit, die ich zu überwinden hätte, bleibt die: der Autor darf || sich nicht selbst beim Nobelkomité bewerben, sondern sein Werk muß von einigen Professoren der Litteratur und Ästhetik (oder auch der Geschichte), gleichviel welcher Universität und welches Landes, dem Nobelkomité der Schwedischen Akademie vorgeschlagen werden, unter Beilegung von Kritiken als Dokumenten der Würdigkeit. Herr Prof. Albert Köster, ord. Prof. der Litteratur (der neueren Deutschen) in Leipzig, wäre nun event. gern bereit, den Antrag zu stellen, vorausgesetzt, daß noch einige Herren Professoren der Leipziger und anderer Universitäten sich seinem Antrage anschlössen, „Giordano Bruno“ gleichfalls ihre Stimme gäben. Leider habe ich aber zu keinem etwa noch in Frage kommenden Professor direkte oder indirekte Beziehungen. Darf ich daher an Sie, hochverehrter Herr Prof., als meinem einflußreichsten Gönner eine Frage oder Bitte richten? Könnten Sie mir nicht vielleicht, auf Grund Ihres großen Verehrerkreises, Ihrer Weltbeziehungen einige oder auch zunächst nur noch einen in Betracht kommenden Herrn Professor dafür gewinnen, daß er den Vorschlag des „Bruno“ durch || Herrn Prof. Köster beim Nobelkomité mit unterstützte? *** Oder hätten Sie wohl gar Beziehungen zur Schwedischen Akademie selbst? (die letztlich die Entscheidung fällt) – Ich glaube, es kostete Sie bei Ihrer Weltbekanntheit gewiß nur wenig Mühe, diese nur in einer Formalität bestehende Kluft mir mitzuüberbrücken; und doch würden Sie mir vielleicht, nein, gewiß eine bedeutende Hilfe leisten, die mich vielleicht auf immer (da der Preis ein Vermögen bedeutet) der hemmenden Sorge überhöbe und meinem Schaffen die notwendige, die freie und freudigere Bahn eröffnete. – Wäre erst einmal von zwei Seiten der Vorschlag angeregt, so würde die Sache bald danach von selbst ihren Fortgang nehmen; es wäre freilich nötig, daß die Anregungen bald geschähen, da spätestens bis zum 1. Februar 1902 der fertige Antrag mit den verschiedenen Unterschriften in Stockholm vorliegen müßte. – Wie die Herren in Jena (meines Wissens u. dem Professorenka-||lender nach Victor Michels ?) Ihnen und meiner Sache gegenüberstehen, weiß ich nicht. – Wenn ich selbst an einzelne mir nur dem Namen nach bekannte Professoren schriebe, so hätte das weniger Aussicht, als wenn ein persönliches Interesse mithinzukäme. An Sie wende ich mich vertrauensvoll, denn der Sieg des „Bruno“ beim internationalen Litteraturpreis würde nicht nur meine litterarische Richtung, sondern auch den Monismus fördern. – Ich möchte in nächster Woche eine nötige Reise nach München antreten und Sie in Jena einmal sprechen. Am liebsten benützte ich den Sonderzug am 15. Ich vermute Sie aber auf dem Zoologenkongress in Berlin. Würden Sie mich wohl, bitte, möglichst umgehend auf einer kurzen Karte benachrichtigen, wenn Sie in nächster Woche in Jena sind? Ich würde Sie eventuell am 13., 14., oder 15. aufsuchen, falls die Zeitdifferenz nicht groß, auch erst nach dem 15. fahren. Es würde mich freuen, wenn ich die Nachricht vor der Abreise (am 11ten) hätte; am 12/13ten befinde ich mich in Halle, Laurentiusstr. 8I (adr. Schriftsteller Petzold) Ihre werte Nachricht entscheidet meine Reisedispositionen; daher danke ich für dieselbe bestens. Daß ich Ihnen für Ihre ev. freundliche Hilfe in der Nobelsache stets dankbar wäre, das werden Sie glauben
Ihrem
Sie hochverehrenden
Otto Borngräber.
* Außerdem liegt das Hallesche Volksblatt ganz bei, weil seine kühnen Töne Ihnen Freude machen werden.c
** Die mir von Stockholm zugesandten Bewerbungsbestimmungen liegen diesem Briefe bei. Da sie wertvoll sind, bitte ich Sie, dieselben zu bewahren.d
*** Bücher würde ich den betr. Herren Professoren sofort zustellen.e
a korr. aus: A; b eingef.: z.B.; c Fußnote auf Seite 3: Außerdem … werden.; d Fußnote auf S. 5: Die … bewahren.; e Fußnote auf S. 7: Bücher … zustellen.