Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Leipzig, 30. Juni 1900
Leipzig, Tauchaer Str. 17II, d. 30. Juni 00
Hochverehrter Herr Professor!
Endlich ist die Aufführung „Brunos“ unumstößlich gesichert, und ich habe die Première, für die erst ein anderer Tag festgelegt werden sollte, auf Sonnabend, d. 7. [Juli], verlegt, damit Sie, bitte, falls es Ihnen irgend möglich, dieselbe mit Ihrer Gegenwart beehren möchten. Es würde mir offengestanden etwas fehlen, wenn Sie fehlten. Wollen Sie mir doch, bitte, baldmöglichst schreiben, wieviel Billets ich Ihnen zugehen, resp. wieviel Plätze ich für Sie reservieren lassen darf. Ich hätte Ihnen längst wieder einmal über die Fortschritte der Sache geschrie-||ben, wenn die Überfülle von Arbeiten, die auf mir lastete, es gestattet hätte. Es ist kaum glaublich, welche unendlichen Schwierigkeiten ich zu überwinden hatte und noch habe. Schon wegen des finanziellen Punktes. Kostet doch das Unternehmen über 6000 M, die erst eingenommen sein wollen, zumal ich noch einen Überschuß für das „Schriftstellerheim“ erzielen möchte. Herr Scheidemantel und die Studentenschaft übernehmen ein Risiko nicht, Scheidemantel unterschrieb die Kontrakte nicht mit. Doch kam man mir von anderer Seite aufopfernd entgegen. Paul Wiecke – Dresden, der seine Kräfte ohne Entgelt in den Dienst der großen Sache stellte, brachte überdies mit Prof. Consul Locella und einigen anderen Dresdener Herren fast 1000 M zusammen. Zudem konnte ich selbst 1000 M || zur Verfügung stellen, da das Werk, was Sie sehr erfreuen wird, von einer Wiesbadener litterarisch-dramatischen Gesellschaft den 1. Preis unter allen eingelaufenen Stücken erhielt (1000 M.) – Es ist mir übrigens dies mehr noch nach der künstlerischen Seite hin eine Befriedigung. – Trotz dieses Garantiefonds sind doch ernste finanzielle Sorgen nicht unberechtigt, da nämlich in den Tagen der Aufführung gerade der große Weltzirkus Barnum & Bailly [Bailey] aus Amerika hier sein Wesen treibt, der in Dresden täglich 15 bis 20 000 Köpfe zu sich ablenkte. Es schadet unseren finanziellen Einnahmen ganz ungeheuer. Unter diesen traurigen Begleitumständen wäre es mir eine hohe Freude, wenn Sie, hochgeehrter Herr Prof., die Sache in einigen Ihnen zugänglichen Kreisen von Leipzig empföhlen. Vielleicht können Sie mir einen Gefallen thun und mir und der edlen, in den Dienst des Schriftstellerheimes || gestellten Sache einen Empfehlungsbrief an diesen oder jenen Ihnen bekannten einflußreichen Leipziger Herren schicken, damit dieselben die Sache unterstützten, durch Propaganda etc. Es ist nach dieser Richtung hin noch gar nichts geschehen. Herr Scheidemantel hat im Gegenteil das ganze Unternehmen zu erdrücken gesucht, da er sich in kleinlichem Neide gegen mich verzehrte. Ich habe mich in meiner Naivität sehr in diesem Manne getäuscht. Er wollte nur auf Grund von anderer Bemühungen eine Rolle spielen, und weil er dies nicht konnte, fing er an zu intriguieren. Gegenwärtig sucht er die Schauspieler zum Streit aufzuwiegeln durch die Aussprengung des Gerüchts, daß das Unternehmen finanziell nicht genug gesichert sei. Demgegenüber bemerkte heut auf der Probe der Regisseur, als er interpretierte: „So sehen Sie nun, meine Herren, wie der edle Bruno sein großes Werk aufzubauen sucht; und indessen schleicht ein gewisser Jesuit Lorini herum und sucht || den mühsam errichteten Bau wieder umzustürzen. Ja, meine Herren, etwas Derartiges geschieht auch heute noch, in diesem Augenblick.“ – Dies nur ein ganz kurzes Beispiel von den unglaublichen Kämpfen und Intriguen, die ich zu bestehen und zu entkräften hatte und habe. Unter diesen Umständen werden Sie mir verzeihen, wenn ich länger nicht über die Sache schrieb. Zu Ihrer Orientierung sende ich Ihnen einzelne Zeitungsausschnitte mit, die ich gerade bei mir habe. Namentlich wird Sie der Hallenser Artikel interessieren. Übrigens hat Dr. Rudolf Steiner in dem „Magazin für deutsche Litteratur“, vorige Nr., einen mehrere Seiten umfassenden, nicht ungünstigen Aufsatz über das Drama gebracht, indem er den Haeckel-Loofs-Streit als Brennpunkt behandelt und meine Stellungnahme für Sie auf das Klarste hinstellt. Sollten Sie diesen, gerade für Sie hochinteressanten Aufsatz noch nicht gelesen haben, möchte ich Sie hiermit darauf aufmerksam gemacht || haben. Übrigens sind die Kritiken bis jetzt nur günstig ausgefallen, und man hofft zum größten Teil sogar einen einzigartigen Erfolg. – Anbei sende ich Ihnen 2 Plakate, mit dem wundervollen, Dr. Bruno Wille gewidmeten Brunobilde. Eines ist für Sie, würden Sie es vielleicht ins Werk setzen, daß das andere Plakat in der Universität, am schwarzen Brett oder irgendwie angebracht würde? Ich glaube, es wäre für Sie ein leichtes, und für die Sache sehr wesentlich. Denn da ich ja in Jena „Bruno“ vortrug, so glaube ich gewiß, daß viele Herren sich auf Grund des publicierenden Plakates zur Leipziger Première begäben. Ich muß alles versuchen, um wenigstens die Première zu füllen, werde aus diesem Grund auch für billige Studentenbillets Sorge tragen lassen. – Man muß leider dem deutschen Studenten pekuniär entgegenkommen, um seinen Sinn für Geistesfreiheit und Ideale zu wecken. Vielleicht könnten Sie auch in Jena unter Ihren Herren Bekannten etwas Propaganda machen. Ich habe die Hoffnung, daß Sie sich Sonnabends mit mir eines großen Sieges freuen können. Ferner in der Hoffnung auf baldigen Bescheid; in großer Eile grüßend
Ihr
Otto Borngräber.