Borngräber, Otto

Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 1. April 1900

Halle a.S., Luckengasse 6. 1. Apr. 1900

Hochgeehrter Herr Prof.!

Es thut mir sehr leid, daß es vielleicht den Verdacht erweckt, als ob ich Ihre angelegentliche Frage nach dem Stand des Welträthsel-Streites in Halle und nach Wesen des Herrn Loofs nicht sofort beantwortet hätte. Ich that es wohl, schickte Ihnen auch eine Charakterisierung von Loofs, möglichst objektiv, (die ich auf Wunsch weiter ausführe), sowie eine für Sie höchst erfreuliche Notiz eines bedeutenden Hallenser Blattes; und zwar, da ich glaubte, daß Sie die Sachen sonst nicht mehr erhielten, unter der Adresse von Herrn Prof. Dr. Hans Meyer. Nun aber wird mir berichtet, daß Sie nicht in Leipzig seien; und so glaube ich, daß dies alles nicht an || Sie gelangt ist. Ich vermute Sie in Berlin. – Der lange Brief enthielt unter anderem auch eine dringende Bitte meinerseits. Herr Scheidemantel bittet mich, ich möchte doch für ihn bei Ihnen um einen Augenblick Audienz nachsuchen, und zwar während Ihres Aufenthalts in Leipzig. Scheidemantel, der bereits ziemlich namhafte Redakteur der „Deutschen Hochschulzeitung“, die treibende Kraft der Leipziger Finkenschaft, ist ein Ihnen durchaus ergebener, sehr begabter Mann – der u.a. sich auch an die Lösung Ihrer Preisaufgabe gemacht hat. Er möchte Sie ersuchen, doch im Verein mit ihm (dem studentischen Vertreter), sich zu Herrn Staegemann zu bemühen, um ihn zur Hergabe des Neuen Theaters statt des Alten zu bewegen. Während er uns das Alte unentgeltlich gab, wollen wir gern mehrere 100 M (ca. 5–600)a und außerdem eine Tantième für das Neue zahlen. Gleichwohl fürchtet Herr Scheidemantel mit Recht, daß Staegemann, bei seiner Cha-||raktereigentümlichkeit, einer Deputation von Studenten die Bitte verwehren werde, während, falls Sie uns Ihre Fürsprache widmeten, die Verwehrung ganz ausgeschlossen sei, zumal er Ihnen gewissermaßen moralisch etwas schuldet, indem er Ihnen sogar Hoffnung auf Annahme des Stücks machte, die er „aus Besorgnis wegen des freigeistigen Inhalts“ nicht erfüllte. Wiefern es für die Ihnen gewidmete Tragödie geradezu eine Lebensfrage ist, ob wir das Alte oder Neue Theater erhalten, enthält des weiteren der Brief. Jedenfalls ist nach Urteil herbeigezogener Berufskünstler der Erfolg im Neuen zweifellos, während die Dürftigkeit des Alten und sein geringeres Renommé ihn mindestens in Frage stellt. Ja, es kann infolge der Laune der betr. Organisatoren und Künstler dahin kommen, daß, falls wir das Neue Theater nicht erhalten, die ganze Aufführung sich zerschlägt. So steht es denn in letzter Linie in Ihrem Vermögen, die nun einmal begonnene und im übrigen schon sehr weit fortgeschrittene Sache, ruhmreich || hinauszuführen. Denn was nützt es uns, wenn wir bereits namhafte Künstler in sicherer Sicht haben, falls uns der Schauplatz fehlt? Und so hoffen wir, daß Sie ihn uns – durch ein paar Worte nur – helfen erobern. Scheidemantel hofft auf eine kurze Nachricht, wann er Haydenstr. 20, oder wo es Ihnen beliebt, vorsprechen darf. Er wohnt Lampestr. 13, Staegemann ist im Theater-Bureau ca. 12–1 oder Abends vor 7 (seltener) zu sprechen.

Da ich Sie bei Herrn Bölsche vermute, so haben Sie sicherlich, wie wir hoffen, auch bei dem Friedrichshagner Kreis ein Wort dafür eingelegt, daß die Herren sich am Protectorate beteiligen. Wenn wir das Neue Theater erhalten, kann es Ihnen nur Ehre bringen.

Ich hoffe um Empfehlung und Grüße und – um Erfüllung unserer Bitte. Soviel in meinen Kräften steht, will ich mit der That zu danken suchen. „Ohne Sie können wir nichts thun“.

Ich bin ganz der Ihrige –

Otto Borngräber.

a eingef.: (ca. 5–600)

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.04.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6395
ID
6395