Otto Borngräber an Ernst Haeckel, Halle, 7 März 1900

Halle, Luckengassea Nr. 6, d. 7. 3. 1900

Hochverehrter Herr Professor!

In den allernächsten Tagen denke ich mit der partiellen Umschrift und Correktur der Tragödie fertig zu sein, um sie Ihnen alsbald zur Empfehlung an Herrn Strauß zuschicken zu können. Hoffentlich gestattet Ihre Gesundheit die Ihnen dadurch erwachsene Mühe, wie ich sie Ihnen nun schon so oftmals machte.

Die Anlagen sind von Meiningen nicht mit zurückgekommen. Ich besitze indessen Abschriften von den betreffenden Empfehlungen, Besprechungen etc. Von Ihrem liebenswürdigen Vorwort, || allerdings, das mich bei Herrn Strauß am meisten empfehlen würde und sicherlich den Ausschlag für seine Annahme gäbe, besitze ich allerdings nur die letzte Partie in einer Abschrift. Sollten Sie daher Ihr Vorwort in Meiningen zurückgelassen haben, so müssen Sie vielleicht, falls es Ihre Kräfte verstatten, darum ersuchen. – Sollten Sie übrigens infolge Ihrer Krankheit noch nicht dazu gekommen sein, das von mir ergänzte (auf Grund Ihrer „Adresse“ z. T. umgeformte) Wort in Ihre Handschrift zu übersetzen, so genügte es vielleicht, wenn Sie Herrn Strauß schrieben, daß ich einiges aus Ihrer italienischen Adresse eingefügt und daher das ganze Wort noch einmal derb Deutlichkeit halber abgeschrieben habe, daß es Ihnen indes infolge || Ihrer Krankheit nicht möglich gewesen wäre, es wieder in Ihre Handschrift zu übersetzen. Überdies glaube ich wohl, daß sich Herr Strauß bereits zur Verlegung entschlösse, wenn Sie ihm einstweilen nur die Schlußpartie Ihres Vorwortes unterbreiteten und ihm schrieben, daß Sie „Giordano Bruno“ mit einem Geleitworte versähen, sowie, daß Ihnen das Werk gewidmet sei. (Es würde Ihnen doch nicht unlieb sein, wenn ich übrigens doch vielleicht Gerhart Hauptmann partizipieren ließe). – Auch bitte ich Sie zu den Anlagen ein heute beiliegendes Kriterium der Neuen Freien Presse über den gewaltigen Stoff des Bruno“ für einen Dichter mit an Herrn Strauß zu schicken.

Anbei sende ich Ihnen auch heute eine Kritik der Neuen Freien Presse über das Holitschersche Drama, die Sie aber wohl besser nicht mit an Strauß || schicken. – Nicht als ob Neid aus mir spräche, denn ich wäre wahrlich nicht zu beneiden, wenn ich ein derartiges Werk beneidete – Sie werden selbst zugeben, daß es mehr Mache als Poesie ist. – Aber ich meine, wenn eine solche „Zusammensetzung“ in einem der bedeutendsten Blätter eine doch immerhin so leidliche Kritik erlaubt, so braucht sich auch der bedeutendste Verlag nicht der Veröffentlichung meines Bruno zu schämen, wieviel weniger ich mich. (Es sind mir auch bereits von verschiedensten Seiten gleich nach Erscheinen empfehlende Kritiken zugesagt.) Und ich glaube, daß Sie dann auch trotz der ungünstigen Beurteilung Sr. Hoheit – die ungünstigsten, wohl einzig ungünstigen, die ich bisher erhielt – das Werk empfehlen können.

Nochmals gute Besserung wünscht

Ihr Ihnen dankbar zugethaner

Otto Borngräber.

[Beilage:]

(Vorauf geht eine glänzende Würdigung Brunos durch Herrn Prof. Ernst Haeckel)

Schluß von

Ernst Haeckels Vorwort zu der Brunotragödie

… Wir müssen es daher mit lebhafter Freude begrüßen, daß Otto Borngräber in dem vorliegenden Drama der hochpoetischen Gestalt von Giordano Bruno ein zweites Denkmal gesetzt – „besser als in Stein und Erz.“ Mit richtigem Verständniß für die außerordentliche Bedeutung des italiänischen Gei||steshelden für unsern modernen „Kampf um die Weltanschauung“ hat er es verstanden, die getreue Darstellung seiner schweren Seelenkämpfe und seines tragischen Schicksals in ein poetisches Gewand zu hüllen, welches seine Faust-Natur auch weiteren Kreisen unseres Volkes menschlich nahe bringt, das Ideal des heroischen modernen Menschen, der für die Wahrheit lebt und stirbt.

Der gewaltige, gerade jetzt „das neue Jahrhundert“ einläutende || Kampf zwischen „altem und neuem Glauben“, zwischen Kirchenreligion und Naturreligion, zwischen Geistes Knechtschaft und Geistesfreiheit tritt uns in Borngräbers herrlicher Dichtung packend entgegen.

Wir können nur den herzlichen Wunsch aussprechen, daß die große, ganz auf der Höhe unserer Zeit stehende Tragödie nicht nur als Buch einen weiteren Leserkreis finden, sondern auch durch baldige Aufführung auf einer || größeren deutschen Bühne, die ihr sicher gebührende Würdigung und Wirkung finden möge.

Jena am ersten Februar 1900

Gez.

Ernst Haeckel.

a irttüml.: Lukengasse; b überschrieben

Brief Metadaten

ID
6388
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
07.03.1900
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
11,2 x 18,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 6388
Zitiervorlage
Borngräber, Otto an Haeckel, Ernst; Halle; 07.03.1900; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_6388